Lautlos
»machen Sie nichts anderes mehr.«
Jana nickte.
Ricardos Aussage traf in doppelter Weise zu. Entweder sie erledigte den Auftrag, dann wäre es ihr definitiv letzter und der Ausstieg aus dem Geschäft. Nach einer solchen Operation weiterzumachen, käme einem glatten Selbstmord gleich. Wo immer ihr Name fiele, würde sich die ganze Welt darauf stürzen. Man würde Jagd auf sie machen und sie mit fingierten Anfragen ködern, bis sie irgendwann in die Falle ging. Ebenso wäre es ihr letzter Auftrag, sollte sie ihn vermasseln. Auch dann würde sie nichts anderes mehr machen, weil jemand, der tot ist, eben nichts mehr macht.
Wie immer es ausging, sie müsste Sonja Cośic, Laura Firidolfi und ein rundes Dutzend weiterer Identitäten noch am selben Tag zu Grabe tragen. Vor allem Jana durfte keinen Atemzug länger fortbestehen. Es wäre von einer Sekunde auf die andere so, als hätte es eine Spezialistin dieses Namens niemals gegeben.
Sie würde aufhören zu existieren.
Um Laura und den ganzen Rest war es ihr nicht schade. Bedauerlich wäre nur, dass auch Sonja dem Massaker an ihren diversen Alter Egos zum Opfer fiele. Sie war die Einzige, die eine Kindheit und Erinnerungen hatte an die Zeit, als die Phantasie noch über die Wirklichkeit gebot. Sonja Cośic – der Rest von Unschuld, den Jana sich bewahrt zu haben glaubte. Inzwischen war sie skeptisch. Wie etwas Mumifiziertes in einer Schachtel, das man von Zeit zu Zeit hervorholt und mit einer Mischung aus Wehmut und Abscheu betrachtet, wohl wissend, dass es tot ist, erschien ihr die Unschuld dieser Sonja Cośic, die in der Krajina über Blumenwiesen gelaufen und ihrem Großvater in die Arme geflogen war, wenn er sie zum Speckessen hereinrief. Sonja mochte Jana sein, aber Jana hatte das Recht verwirkt, sich auf Sonja zu berufen.
Vielleicht war es gut, wenn Sonjas Kindergesicht endlich verschwinden würde, um nicht länger von der Realität herabgewürdigt zu werden.
Sollte sie zusagen?
»Als Chef der Finanzen plädiere ich natürlich für ein Ja«, bemerkte Ricardo, als habe er ihre Gedanken erraten. »Erstmals hätten wir den seltenen und bemerkenswerten Fall, dass wir Ihre ganze Person in eine andere Währung umtauschen müssten. Irgendwie amüsant, finden Sie nicht? Möglicherweise lernen Sie Schwedisch oder Innuit. Wenn wir Neuronet liquidieren, gäbe es noch ein paar Millionen obendrauf, es würde sich also lohnen. Natürlich könnten Sie nicht zurück nach Serbien gehen. Auch in Italien zu bleiben, würde ich für unklug halten. Aber es gibt schöne Ecken in England. Irland ist ganz wunderbar, wenn man mit ein paar Kübeln Regen leben kann. Der französische und spanische Norden hat schon ganz anderen Unterschlupf gewährt, und man kann hervorragend essen.«
»Das können wir später entscheiden«, sagte Jana.
Ricardo zuckte die Achseln.
»Es ist Ihr Leben. Nach Abzug aller zu erwartenden Kosten, die eine Löschung von Jana aus der Weltgeschichte und die Auferstehung einer bis dato nicht näher spezifizierten Person mit sich brächten, verblieben Ihnen schätzungsweise dreißig Millionen. Ich rechne jetzt in Dollar. Sie könnten danach aus Spaß als Apfelsinenpflückerin in Marokko arbeiten oder als Supermarktkassiererin auf Hawaii oder am besten gar nichts tun und teure Weine trinken, aber eine Waffe werden Sie nicht mal mehr in einem Spielsalon berühren. Nicht öffentlich, meine ich.«
»Nette Lektion. Danke.«
»Wir bereiten die Auflösung der Neuronet so vor, dass das Unternehmen im Moment, da Sie Ihren Auftrag erledigen, sämtliche Mittel verflüssigt, alle Schulden bezahlt und seinen Mitarbeitern am folgenden Tag ordnungsgemäß kündigt«, fuhr Ricardo ungerührt fort. »Die zu beziehenden Restgehälter und Abfindungen werden aus einem Fonds beglichen, den wir beizeiten installieren. Gruschkow bildet die Ausnahme, wie ich die Sache sehe, müssen wir auch ihm ein neues Leben finanzieren.«
Jana nickte. Maxim Gruschkow war der Chefprogrammierer von Neuronet und zugleich Janas engster Vertrauter, wenn es um die Planung und technische Durchführung ihrer Operationen ging.
»Mit dem Ende Janas endet übrigens auch dieses Haus«, sagte Ricardo. »Leider wird es abbrennen. Kurzschluss. Nichts wird übrig bleiben. Persönlich hätte ich Sie gern beerbt, aber wir wollen ja nicht sentimental werden.« Er machte eine Pause und sah sie über den Rand seiner Brille an. »Auch Silvio Ricardo wird einen neuen Namen und Aufenthaltsort brauchen. Wir stehen uns
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