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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Man muss so viele Hände ergreifen, so viele wollen geführt werden. Sie graben dir die Fingernägel ins Fleisch. Sie reißen Stücke aus dir heraus, aus deiner Liebe zu diesem Land, und du gibst mehr, als du bist. Sie nennen dich Führer und teilen dich unter sich auf, wie soll einer da nicht alt aussehen? Und doch geben sie dir zugleich die Kraft, die du brauchst, ihre Blicke brennen sie dir ein, wenn du zu ihnen sprichst, und du weißt, du magst sterben, aber deine Ideen leben in ihnen weiter! Alter ist nicht wichtig. Eine Illusion. Die Ideen zählen, nichts sonst.
    Sein Blick suchte die Eidechse. Sie zuckte zurück und verschwand.
    Fast ärgerlich registrierte er, dass sich das Motorengeräusch nun vollends des Friedens ringsum bemächtigt hatte und sein Urheber ins Blickfeld geriet. Der Wagen rumpelte die Böschung hinauf und kam unterhalb der Treppe zum Stehen. Einige Sekunden rasselte der Diesel weiter, dann erstarb der Lärm der Maschine und überließ das Land wieder den kleinen und älteren Lauten, auf die der Alte seit dem Morgengrauen gelauscht hatte.
    Der Neuankömmling war Anfang vierzig, hochgewachsen, trug borstig geschnittenes Haar, das an den Schläfen zu ergrauen begann, und eine schwarze Lederjacke über verblichenen Jeans. Mit federnden Schritten kam er die Stufen herauf. Der alte Mann drehte ihm den Kopf zu und musterte das ebenmäßig geschnittene Gesicht mit den grünen Augen. Offen, befand er. Beinahe freundlich, aber ohne jede Wärme, ohne Humor. Er wusste sofort, dass der andere miserable Witze erzählen würde, falls er es überhaupt jemals tat.
    »Wie soll ich Sie ansprechen?«, fragte der Alte.
    »Mirko«, sagte der Mann und streckte die Hand aus. Der alte Mann starrte eine Sekunde darauf, nahm sie dann und drückte sie.
    »Einfach Mirko?«
    »Was heißt hier einfach?« Der andere grinste. »Das sind fünf Buchstaben, und sie haben mir verschiedene Male das Leben gerettet. Ich liebe diesen Namen.«
    Der Alte betrachtete ihn.
    »Sie heißen Karel Zeman Drakovíc«, sagte er nüchtern. »Sie wurden geboren 1956 in …«
    »Novi Pazar.« Mirko winkte ungeduldig ab. »Und so weiter und so fort. Schön, Sie kennen meine Daten. Ich kenne sie ebenfalls. Wollen wir über was Wichtiges reden?«
    Der alte Mann dachte nach.
    »Dieses Land ist etwas Wichtiges«, sagte er nach einer kurzen Weile des Schweigens. »Können Sie das verstehen?«
    »Natürlich.«
    »Nein, können Sie nicht.« Der Alte hob einen Zeigefinger. »Wem es gehört, ist wichtig. Das ist überhaupt das Wichtigste, wem was gehört! Kriege, Konflikte, Streitereien, was könnten wir uns alles ersparen, wenn sich nicht ständig jeder bemüßigt fühlte, durch anderer Leute Wohnzimmer zu marschieren!«
    Er reckte das Kinn noch weiter vor. »Wissen Sie, was ich sehe, wenn ich auf dieses Land hinausblicke, Mirko Karel Zeman Drakovíc? Ich sehe ein Schild mit der Aufschrift ›Reserviert‹. Und wissen Sie auch, für wen? Für unser Volk, für unsere Leute! Das alles da draußen wurde für uns gemacht. Gott ehrt die Seinen, habe ich Recht? Nun gut, ich bin großzügig und tolerant, also sage ich, jeder mag das Recht für sich in Anspruch nehmen, sein Land zu lieben, aber seines, wohlgemerkt, sein Land! Nicht das Land anderer!«
    Mirko zuckte die Achseln.
    »Das klingt doch ganz einfach und natürlich, oder?«, fuhr der Alte fort. »Ich meine, was tun Sie, wenn Sie ein Haus bauen? Sie leben da mit Ihrer Frau und Ihren Kindern, also was machen Sie? Sie schützen es! Und wenn Sie Fremde darin vorfinden, die sich eingenistet haben, Ihnen den Kühlschrank leer fressen, die Füße auf Ihren Tisch legen und in Ihre sauberen Polster furzen, na, dann schmeißen Sie das Pack eben raus! Kein Richter auf der Welt wird Ihnen das verübeln. Aber in diesem Land soll plötzlich jeder mit am Tisch sitzen dürfen, der sich Minderheit nennt und irgendwas von ethnischer Vielfalt daherfaselt, und wenn die Eigentümer ihr gottgegebenes Recht anmelden, ihn hinauszujagen, werden sie noch von den eigenen Leuten verdroschen, und das nennt sich dann liberal!«
    Mirko wandte ihm den Blick zu.
    »Wann hätten Sie sich je verdreschen lassen«, sagte er.
    »Eben! Nebenbei, was ist mit Ihnen? Lieben Sie dieses Land?«
    »Ich liebe es, über meinen Auftrag zu sprechen.«
    »Ihre Kontaktleute meinten, Sie seien schon so etwas wie ein Patriot. Trotz Ihres …«
    Mirko lächelte höflich.
    »Trotz meines Berufs? Sagen wir mal so – ich sehe zu, dass ich mir meinen

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