Scream Street - Das Hexenblut
1. Kapitel
Das Blut
Blut lief an den Fängen des Vampirs herunter. Er leckte sich die zähe Flüssigkeit von den spitzen, glänzenden Zähnen und sein Mund verzog sich zu einem genüsslichen Lächeln. Es schmeckte nach mehr.
Der Vampir riss sich mit seinen gelblichen
Krallen ein neues Stück Fleisch vom Kadaver und hielt nur kurz inne, um es in die kleine Blutlache zu dippen. Dann biss er in die Muskelstreifen, während unter seinem sabbernden Mund die Adern und Sehnen baumelten. Plötzlich ertönte ein lauter Aufschrei.
»Dad! Lass den anderen auch noch was übrig!«
Alston Negativ blickte sich am Esstisch um und legte langsam den Hühnerflügel zurück auf seinen Teller. »Entschuldigung«, murmelte er beschämt.
Rhesus Negativ, der Sohn des Vampirs, griff in seinen stahlblau gefütterten Umhang, zog eine Gabel und ein Messer heraus und reichte sie seinem Vater mit den Worten: »Und wenn wir Besuch haben, solltest du mit Besteck essen.«
Während Alston sich mit den ungewohnten Hilfsmitteln abmühte, stieß Rhesus
seinen Freund Luke Watson in die Seite. »Also, bei dir ist es nicht so eine Sauerei, wenn du isst, und dabei bist du ein Werwolf!«
Grinsend beobachtete Luke, wie der Vampirvater unbeholfen den Hühnerflügel vom Teller schubste und Kartoffeln auf den schwarzen Esszimmerteppich katapultierte.
»Ein Vampir zu sein, hat auch seine Vorteile«, bemerkte Alston scherzhaft und sprang vom Stuhl auf. »Wenn ich keine Lust mehr habe, in Hälse zu beißen, kann ich immer noch als Gemüseständer einspringen!« Er pickte mit den Vampirzähnen am Teppich und kam dann wieder hoch - an jedem spitzen Eckzahn eine aufgespießte Kartoffel.
»Dad«, stöhnte Rhesus verlegen. »Das ist echt nicht lustig!«
Prustend vor Lachen, warf Luke einen Blick auf seine Eltern. Ob sie das auch so witzig fanden? Doch ihm verging das Lachen, als ihm
klar wurde, dass das Treffen leider nicht die erhoffte Wirkung zeigte: Seine Mutter und sein Vater hatten noch immer Angst vor den Vampirnachbarn.
»Ich möchte einen Toast aussprechen!«, verkündete Alston strahlend, zog die Kartoffeln von den Zähnen und hob sein Weinglas. »Auf die Watsons und eure erste Woche in der Scream Street!«
»Auf die Watsons!«, wiederholte Rhesus, prostete Luke mit seinem Glas Milch zu und trank dann gierig. Dabei stieß er mit den Eckzähnen klirrend gegen den Glasrand.
Statt seine eigene Milch zu trinken, führte Luke die zitternde Hand seiner Mutter zu deren Weinglas.
Mrs Watson zwang sich zu einem Lächeln. »Vielen Dank«, flüsterte sie heiser.
Luke und Rhesus wechselten einen Blick. G.H.U.L. - die Gesellschaft für Häuser ungewöhnlicher
Lebensformen - hatte Lukes Familie in die Scream Street gebracht, nachdem er in Werwolfgestalt einen Schuljungen angegriffen hatte, der die Mitschüler tyrannisierte. Seit damals lebten seine Eltern ständig in Angst und Schrecken.
Um einen Weg zurück in seine eigene Welt zu finden, hatte Luke sich auf die Suche nach den sechs Relikten begeben, die von den Gründern der Gemeinde hinterlassen worden waren: Ihre vereinten Kräfte waren Lukes einzige Hoffnung, seine Familie nach Hause zu bringen. Das erste Relikt, ein Vampirzahn, lag bereits sicher verwahrt in einer goldenen Schatulle unter seinem Bett.
»So«, sagte Bella Negativ, als sie mit einem Krug roter Flüssigkeit ins Esszimmer trat. »Wer möchte gern mehr Blut auf sein Fleisch?«
Mr Watson starrte auf den Krug und wurde kreidebleich. »Ich glaube, mir wird schlecht …«
»Ich hole dir etwas Wasser«, sagte Luke und rannte schnell in die Küche. Er wollte den
Hahn mit kaltem Wasser aufdrehen, stellte aber verwundert fest, dass es drei Hähne gab. »Rhesus!«, rief er.
Sofort kam der junge Vampir hereingesaust. »Du hast mich gerufen?«, fragte er mit einem schelmischem Grinsen.
»Wo ist denn das kalte Wasser?«, wollte Luke wissen.
»Na, das ist doch glasklar«, entgegnete Rhesus und zeigte von links nach rechts auf die drei Hähne: »Warmes Wasser, kaltes Wasser, Blut.«
» Blut ?«, rief Luke aus. »Ihr habt einen Hahn für Blut ?«
»Na klar«, meinte Rhesus. »Wie sollen Vampire denn sonst regelmäßig versorgt werden? Das ist nun mal ihr Grundnahrungsmittel.« Er drehte den Hahn auf, sodass ein starker Strom purpurfarbenen Bluts in das Spülbecken floss. Es spritzte gegen den rostfreien
Stahl und hinterließ beim Abfließen kleine Klümpchen und Gerinnsel.
»Aber aus einem Wasserhahn ?«, stammelte Luke. »Woher kommt das Blut
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