Lawinenexpreß
Auf dem Rücksitz blickte Gustav in eine andere Pistolenmündung, die durch ein zusammengerolltes Handtuch verdeckt wurde. Diese Waffe hielt der zweite Mann im Overall, der die Ladetür aufgerissen hatte. Der Kellner hatte Gustav schon seine Automatik abgenommen.
Von der Bahnhofshalle aus beobachtete Matt Leroy, wie die vier Männer in den Laderaum des Wäschereiwagens einstiegen, sah, wie die Türen sich schlossen, als der Kellner sich hinters Lenkrad setzte und den Motor anließ. Erst als der Wäschereiwagen abgefahren war, lief Leroy in den Bahnhof zurück und verlangsamte dann seine Schritte zu einem schnellen Gehen. Er blickte auf die große Bahnhofsuhr. Sie zeigte 10 Uhr 08. Zwei Minuten vor Abfahrt des Transalpin nach Zürich. Vor Zürich würde es keinen Aufenthalt geben.
Als er spürte, wie das Fahrzeug anrollte, stellte Fischer im Laderaum des Wäschereiwagens seine Frage, mit der er die Männer ablenken wollte, die ihn gefangen hatten. »Was hat er im Schlafwagen geholt? Und wie hat er’s verloren…« Er sprach noch, als er versuchte, dem Mann, der ihm am nächsten stand, das Knie in den Unterleib zu stoßen. Der Wäschereimann wich dem Stoß aus und ließ den Pistolenlauf auf Fischers Schädel niedersausen. »Sehr dumm.« Er nickte kurz und lächelte Gustav an. Der zweite Wäschereimann ließ seine Pistole krachend auf Gustavs Hinterkopf landen. Beide Schläge waren tödlich gewesen; beide Männer lagen tot auf dem Boden des schwankenden Lastautos.
Kurz nach Tagesanbruch entdeckte am nächsten Morgen ein Schweizer Polizeibeamter bei einem Streifengang am Fluß in der Nähe des tosenden Rheinfalls von Schaffhausen einen großen Überseekoffer, der sich zwischen zwei massiven Felsblöcken verklemmt hatte. Der Fluß führte Hochwasser, und die Wassermassen überspülten den Koffer mit Gischt und Schaum. Vier Stunden waren nötig, um ein mit Hebekran und Greifer ausgerüstetes Polizeiboot unterhalb des Wasserfalls in Position zu bringen. Eine weitere Stunde verging, bis es gelungen war, den Koffer aus dem Hexenkessel gischtenden Wassers herauszuzerren. Am Ufer, beim Öffnen des Koffers, entdeckten die Beamten die nackten Leichen zweier Männer, die in den Koffer gezwängt worden waren. Eine Identifizierung war nicht möglich. Beide Männer waren an einem schweren Schlag auf den Schädel gestorben.
Als Matt Leroy langsam am Ausgang vorüberschlenderte und eben mit seiner zusammengefalteten Zeitung dem Fahrer des Wäschereiwagens das verabredete Zeichen gab, bestieg Elsa Lang den Erster-Klasse-Waggon Nr. 43 des Transalpin-Expreß Basel-Wien, der um 10 Uhr 10 abfahren sollte. Der Gang war menschenleer, als sie einen Waschraum betrat und die Tür verschloß. Dann handelte sie sehr schnell. Sie zog ihren schäbigen Regenmantel und ihre abgetragenen Schuhe aus und nahm den formlosen Hut und die Hornbrille ab. Einen Augenblick später hatte sie auch ihre schwarze Perücke abgenommen. Darunter kam blondes Haar zum Vorschein, das sie rasch durchkämmte.
Sie legte ihren unscheinbaren grauen Koffer auf den Toilettensitz, öffnete den Reißverschluß der Kofferhülle und ließ ein teures Gepäckstück aus Schweinsleder zum Vorschein kommen. Sie machte den Luxuskoffer auf und entnahm ihm ein Paar Gucci-Schuhe, schlüpfte hinein, holte eine passende Gucci-Handtasche und einen Zobelmantel heraus, den sie sofort anzog. Die abnehmbare Kofferumhüllung stopfte sie zusammen mit der Perücke, dem Hut und den ausrangierten Schuhen unter teure Wäschestücke. Sie verschloß den Koffer, legte Make-up auf und blickte kurz prüfend in den Spiegel. Die Hornbrille verschwand in der Gucci-Handtasche. Die Elsa Lang, die den Waschraum verließ, hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem schlampig wirkenden Mädchen, das ihn vor nur wenigen Minuten betreten hatte.
Das Umziehen hatte nicht nur ihre gesamte Erscheinung verändert; als sie jetzt zu ihrem reservierten Platz ging, wirkte sie auch schlanker und hochgewachsener, da sie nicht mehr gebückt schlurfte. Ihre Art zu gehen – am Gang erkennt man jede Frau und jeden Mann – hatte sich gleichfalls verändert. Sie ging mit einem forschen, elastischen Schritt, erreichte das leere Abteil und trat hinein. Um es für sich zu behalten, zog sie den Zobelmantel aus, breitete ihn auf einem anderen Sitz aus und legte die Gucci-Tasche auf einen dritten. Sie setzte sich, legte ihre schlanken, eleganten Beine übereinander und sah auf die Uhr. 10 Uhr 08. In zwei Minuten würde der
Weitere Kostenlose Bücher