Lawinenexpreß
was geschehen war.
»Jemand ist eingestiegen«, flüsterte er. »Angezogen wie ein Steward.« Er packte seinen Begleiter, der sich schon in Bewegung gesetzt hatte, am Arm. »Noch nicht. Warte, bis er wieder ausgestiegen ist. Wegen dieser weißen Jacke werden wir uns was einfallen lassen müssen…« Er zog seinen dunklen Mantel aus, legte ihn zusammengefaltet über den Arm und wartete.
Im Innern des Schlafwagens machte sich der Kellner in der weißen Jacke zielbewußt ans Werk und ging sofort zum dritten Abteil. Nachdem er es betreten hatte, zog er die Tür zu, klappte das Waschbecken in der Ecke auf und langte mit dem Arm tief in das breite Abflußrohr des Beckens. Die Kassette wurde mit wasserfestem Klebeband an der Rohrwand gehalten, und er fluchte lautlos vor sich hin, während er sich abmühte, sie freizubekommen. Jeden Moment konnte irgendein Schweizer Bahnpolizist hereinkommen. Die verdammte Kassette ließ sich gewöhnlich leichter lösen. Er packte fest zu, drehte ein paarmal mit hartem Griff und hatte das Ding in der Hand. Er riß die Überreste des Klebebands von der Kassette ab und steckte sie in die Tasche.
Draußen in der Bahnhofshalle strömten immer mehr Menschen zusammen, als der Kellner ausstieg und schnell auf den Ausgang zuging. Fischer und Gustav setzten sich im selben Augenblick in Bewegung und drängten sich rücksichtslos durch die Reisenden. Der Kellner streifte Elsa Lang, die inmitten eiliger Reisender festgehalten wurde, und setzte seinen Weg zum Ausgang fort, als die beiden Männer zu ihm aufschlossen. In diesem Moment lichtete sich die Menschenmenge plötzlich; nur ein Mann war noch da – ein Mann mittlerer Größe mit einem Schnauzbart, der, in eine Zeitung vertieft, an einer Wand lehnte. Unter dem Schutz seines zusammengelegten Mantels preßte Fischer dem Kellner eine 9-Millimeter-Luger-Pistole in den Rücken.
»Ein falscher Schritt, und Sie sind ein toter Mann. So, jetzt hier entlang…«
Sie schoben den Steward mit sanfter Gewalt in einen leeren Teil der Halle rechts vom Ausgang. »Ziehen Sie diesen Mantel hier an«, befahl Fischer, während er die Luger in die Jackentasche zurückgleiten ließ. Während der bleichnasige Kellner gehorchte, behielt Fischer den Mann mit Brille und Schnauzbart im Auge, der nach wie vor in seine Zeitung vertieft schien. »So, und jetzt rein in den Mercedes da am Bordstein«, befahl Fischer. »Auf den Rücksitz…« Sie gingen hinaus in den Schnee; nach dem Ansturm der Reisenden war die Straße jetzt fast völlig leer, abgesehen von einem Wäschereiwagen ohne Firmenaufschrift, der wenige Meter vor dem Mercedes geparkt war.
Auf dem Rücksitz des Wagens durchsuchte Gustav den Kellner mit geübten Händen, während Fischer sich hinter das Lenkrad des gemieteten Fahrzeugs setzte und sich auf dem Fahrersitz umdrehte. »Mi kann absolut nichts finden, nur dieses Zeug hier«, meldete Gustav. Er zeigte eine Handvoll zerrissener und verfilzter Klebestreifen.
»Durchsuch ihn noch einmal – und zwar schnell. Wir werden noch den Expreß verpassen…« Im Schutz der Rückenlehne umwickelte Fischer den Lauf der Luger mit einem Wollschal. Das würde den Schall dämpfen, wenn er den Kellner erschoß. Anschließend würde ein Reiseplaid über der Leiche auf dem Rücksitz die Entdeckung hinauszögern. Zudem war der Wagen in Mannheim angemietet worden. Dort würde die Schweizer Polizei zuerst Auskünfte einholen, und während sie damit beschäftigt sein würde, wären Fischer und sein Begleiter mit dem Transalpin-Expreß schon längst in Wien.
In der Bahnhofshalle schlenderte Matt Leroy, der englisch gekleidete Amerikaner mit dem Schnauzbart, langsam am Ausgang vorüber, wobei er seine zusammengefaltete Zeitung gelangweilt gegen das Hosenbein schlug. Der Fahrer hinterm Lenkrad des Wäschereiwagens sah das Signal im Rückspiegel, sprach kurz zu seinem Begleiter auf dem Beifahrersitz, stieg aus und ging mit einer Rolle sauberer Handtücher in der Hand nach hinten. Er steckte den Kopf durch das vordere Seitenfenster des Mercedes und sagte leise etwas auf deutsch, was Fischer herumfahren ließ.
»Steigen Sie aus, und dann rein in den Laderaum des Wagens dort.«
Fischer starrte auf das Ende der Handtuchrolle, die der Wäschereimann in der Hand hielt, starrte auf den Pistolenlauf, der in der Rolle steckte. »Und das Ding da nehme ich erst mal an mich, wenn’s recht ist…« Der Mann im Overall fischte die Luger von Fischers Schoß und ließ sie in die Tasche gleiten.
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