Leben im Käfig (German Edition)
Sascha auf die Füße. Nun verstand er gar nichts mehr. Instinktiv streckte er die Hand nach Andreas aus, der unsicher auf den Beinen war. Gerade noch hatte sein Freund ihm das Versprechen abgenommen, ihn nicht in die Klinik zu schleifen, und jetzt wollte er freiwillig gehen? Zumal der Termin längst verstrichen war?
„Du hast doch gesagt, du kannst nicht mehr“, hakte er unsicher nach und hoffte, dass Andreas ihm nichts beweisen wollte. Diese Sache mit der Maus schien tiefen Eindruck auf ihn gemacht zu haben.
„Ja, eben“, lächelte Andreas schief und hielt sich an der Seitenwand des Pavillons fest. Er griff sich an die Stirn und wischte sich den Schweiß ab. „Ich kann nicht mehr. Ich bin so müde.“
„Aber ...“, Sascha verstand nach wie vor nur Bahnhof.
„Ich werde es dir später erklären, nicht jetzt ... lass uns gehen.“
* * *
Zu Saschas größter Verwirrung funktionierte es.
Während der gesamten Zeit war er nervös und rechnete ständig mit der nächsten Ausnahmesituation, dem nächsten Fluchtversuch. Doch Andreas floh nicht. Schlurfend verließ er mit Sascha an seiner Seite den Park und betrat brav wie ein gut trainierter Hund das Klinikum.
An der Anmeldung wurden sie unfreundlich empfangen und mussten sich eine Predigt wegen des geplatzten Termins anhören. Sascha fand es entsetzlich, dass Andreas sich nicht gegen die Schelte zur Wehr setzte, nicht erklärte, warum sie zu spät waren.
Gerade, als er das Missverständnis aus dem Weg räumen wollte, wurden sie von der Zahnärztin gerettet. Sie begrüßte Andreas freundlich und nahm ihn sofort mit nach hinten. Anscheinend wusste sie von seinen Schwierigkeiten. Sascha durfte mitgehen.
Die Behandlung selbst war nicht der Rede wert. Er bekam nicht viel davon mit. Am Knöchels seines Daumens kauend stand er abseits vom Zahnarztstuhl und hörte, wie die Ärztin Andreas sagte, dass sie zufrieden sei und er es geschafft hätte.
Auf der Rückfahrt schlief Andreas auf dem Beifahrersitz ein und Sascha war froh, als sie zu Hause ankamen. Er stellte den Wagen auf den Parkplatz vor dem Haus seiner Tante und begleitete Andreas, der ungerührt neben ihm hertrottete, in die Villa.
Ivana begrüßte sie, musterte ihren Schützling und winkte sie ohne Fragen nach oben durch.
In Andreas' Zimmer angekommen konnte Sascha sich nicht länger bezähmen: „Das war ... wie hast du das gemacht? Ich meine, das war super.“
Sein Freund verzog keine Miene, sondern zog seine Jacke aus und ließ sich auf das Bett fallen. „Ehrlich, wie kann das sein? Im einen Moment war noch alles ... grande catastrophe und im nächsten ... bumm ... alles easy.“
Eine Antwort bekam er nicht. Saschas Nerven fühlten sich zum Zerreißen gespannt an. Was war denn nun schon wieder los? War Andreas böse mit ihm? Jetzt, wo der Schock nachließ und sie es hinter sich hatten? Oh bitte nicht. Er brauchte jetzt ein bisschen Ruhe und wollte sie von Andreas, aber vielleicht war das nach seinem Verhalten zu viel verlangt.
„Hör mal, es tut mir leid“, ging er in die Offensive. „Ich wollte dir nicht auf die Füße treten. Ich wusste nur, dass du zu diesem Termin musst und ich dachte, ein bisschen Druck ... du willst nicht mit mir reden, oder?“
Andreas schüttelte den Kopf.
Verletzt wich Sascha einen Schritt zurück. Er fand, nach dieser Odyssee verdiente er wenigstens eine Erklärung. Immerhin gab es genug andere Dinge, mit denen er sich auseinandersetzen musste. Da wollte er nicht auch noch in Sachen Andreas im Ungewissen sein. Aber er bekam keine Antwort, nur Schweigen hallte ihm entgegen. Er atmete tief durch, fällte eine Entscheidung.
Sie war schmerzlich, aber auf eine Auseinandersetzung hatte er keine Lust: „Gut, dann geh ich mal. Wir sehen uns.“
Eine Sekunde Stille, dann rappelte Andreas sich auf und sah ihn aus glasigen Augen erschrocken an: „Was? Wieso?“
„Weil du mich offensichtlich nicht hier haben willst?“ Sascha war zugegebenermaßen ein wenig zickig, aber mehr gab sein Nervenkostüm nicht mehr her.
Geschafft blinzelte Andreas ihn an. Nur mit Mühe konnte er seine Lider offen halten.
„Schwachsinn“, murmelte er und setzte sich auf die Bettkante. Es sah nach einer großen Kraftanstrengung aus. Er hielt Sascha die offene Hand hin: „Nicht gehen.“
Die Fähigkeit, ganze Sätze zu bilden, schien ihm abhandengekommen zu sein. Seine Finger lockten, wirkten leer ohne eine Hand, die sich in sie hineinlegte. Als nichts passierte, wisperte Andreas
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