Leben im Käfig (German Edition)
noch einmal: „Bleib.“
Dem hatte Sascha nichts entgegenzusetzen. Nach wie vor unsicher trat er näher. Erst, als Andreas ihm sacht die Arme um die Taille schlang, sein T-Shirt anhob und das Gesicht an seinen nackten Bauch drückte, atmete er erleichtert aus.
„Bist du sauer auf mich?“, fragte er leise. Er musste es einfach wissen.
Kopfschütteln.
„Kannst du mir sagen, was da vorhin passiert ist?“
Wieder Kopfschütteln.
„Du bist müde, oder?“
Ein Nicken, gefolgt von einem Gähnen: „Ich schlaf' gleich ein.“
Die Stellen in Saschas Brust, die in den vergangenen Stunden nach und nach ausgekühlt waren, erwärmten sich wieder.
„Ich bin auch müde. Kann ich mich zu dir legen?“
Andreas schnurrte geradezu: „Oh jaa...“
Es war eine einsilbige Kommunikation, aber allmählich glaubte Sascha zu verstehen.
Die Vorfälle des Vormittags hatten seinen Freund viel Kraft gekostet. Jetzt war er erschöpft und zu erschlagen, um sich zu erklären. Sascha ging es nicht viel anders. Wichtig war nur, dass Andreas ihn bei sich haben wollte und dass sie nicht im Streit auseinandergingen. Vorsichtig löste Sascha die Arme von seinen Seiten und schob sich auf die Matratze.
Andreas rollte sich herum, bis er halb über ihm lag. Mit den Fingerspitzen tastete er über Saschas Gesicht, streichelte ungewohnt zärtlich seine Wangen und seine Nase, bevor er wisperte: „Ich bin froh, dass du da bist. Lass uns einfach ...“
Andreas suchte nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger miteinander.
„... ausruhen?“, gab Sascha ebenso leise zurück.
Sacht schob er die freie Hand unter Andreas' Oberteil und von dort in seinen Rücken. Zart, als berühre er etwas Zerbrechliches, streichelte er die einzelnen Erhebungen der Wirbelsäule, hörte das wohlige Seufzen. Zum Dank wurde er sanft auf den Hals geküsst, bis ihm leises Schnarchen verriet, dass Andreas endlich eingeschlafen war.
Die Schrecken des Tages lösten sich nur langsam aus Saschas System und entsprechend lange dauerte es, bis er Ruhe fand. Aber als er sich im Halbschlaf auf die Seite drehte, Andreas ihn von hinten umfing und fest gegen seinen Körper zog, träge seinen Unterarm streichelte und seinen Nacken küsste, hatte er das Gefühl, dass es trotz allem ein guter Tag gewesen war; wenn auch auf eine nervenaufreibende und schockierende Weise.
Mann oder Maus war ganz egal. Hauptsache, sie waren zusammen.
Kapitel 34
Dienstag. Sie waren noch keine Woche ein Paar. Alles frisch, alles aufregend, alles heiß. Und irgendwie schade.
Andreas' Füße lagen auf seinem Schreibtisch. Die dicken, blauen Socken ruhten neben seinem Monitor, aber verdeckten ihn nicht zur Gänze. Er konnte noch das Chatfenster sehen und damit, ob Sascha endlich online kam.
Verdammt, sie hatten Pech gehabt.
Erst die Höllenwoche wegen seines Zahns, dann die Trennung am Wochenende, das bei Sascha sichtbare Spuren hinterlassen hatte, dann gestern der zweite Termin in der Klinik. Warum ließ die Welt sie nicht in Ruhe, damit sie sich sortieren konnten? Sich damit zurecht finden, dass sie zusammen waren?
Heilige Scheiße, Andreas wusste nicht, ob er lachen oder in Panik geraten sollte.
Er hatte einen Freund und er hatte noch keine Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Jahrelang hatte sich in seinem Leben nichts bewegt und nun kamen die Veränderungen Schlag auf Schlag. Zu viel auf einmal, auch wenn sie größtenteils positiver Natur waren.
Sascha erging es kaum besser. Andreas sah dabei zu, wie sich seine Zehen in der Wolle krümmten und wieder aufrichteten. Es tat ihm leid. Dass er Sascha in der vergangenen Woche angesichts seiner Zahnschmerzen unfreundlich abserviert hatte. Dass Andreas ihn gebraucht hatte, als Sascha selbst im Stress war und Ablenkung oder Trost brauchte. Dass das Wochenende bei seiner Familie schlecht verlaufen war. Dass er sich hinterher mit seinem durchgeknallten Freund herumschlagen musste, der sich benahm, wie ein kopfloses Huhn.
Er schauderte. Daran durfte er nicht denken. Ein Gefühl schwereloser Erleichterung ergriff von Andreas Besitz, wenn er sich daran erinnerte, dass er in naher Zukunft nicht mehr zum Arzt musste. Aber dass er sich vor Sascha dermaßen aufgelöst hatte, war ihm peinlich. Sehr peinlich.
Und trotzdem war der Sog nach wie vor da. Ein gutes Zeichen, wie Andreas glaubte.
Denn auch, wenn er sich blamiert und einige unangenehme Fragen zu beantworten hatte, wollte er Sascha sehen. Ihm war nicht nach Weglaufen zumute.
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