Leben im Käfig (German Edition)
weh als die harschen Worte seiner Mutter. „Du wolltest in Ruhe Weihnachten feiern und wir führen hier so einen Zirkus auf. Es tut mir leid.“
„Sag so etwas nicht. Mir tut es leid. Wir hätten das anders regeln müssen. Das wäre für alle Beteiligten besser gewesen. Ich wusste, dass es Ärger gibt, und ich habe trotzdem nichts dagegen unternommen, weil ich Karen nicht auf die Zehen treten wollte.“
„Der Stress von Mama und mir ist eigentlich nicht dein Problem.“
„Doch ist er. Ach, Sascha.“ Tanja überwand die letzten Schritte zwischen ihnen und nahm ihn in den Arm. Anfangs wollte er sich sträuben, doch er wollte sie nicht enttäuschen. Und so schlecht fühlte es sich auch nicht an. „Du bist wie mein eigener Sohn für mich. Ich habe dich sehr lieb und finde es furchtbar, was deine Mutter dir an den Kopf geworfen hat.“ Tanja löste sich von ihm und lächelte ihn an: „Und jetzt geh zu Andreas. Er freut sich bestimmt und für dich ist es sicher auch gut.“
Sascha sah zu Katja hinüber, die bekräftigend nickte. Er konnte der Verführung nicht länger widerstehen. In seiner Eile, zu Andreas zu kommen, vergaß er prompt dessen Weihnachtsgeschenk und dachte nicht darüber nach, woher Tanja eigentlich wusste, welche Rolle Andreas in seinem Leben spielte.
* * *
Ziemlich eigenartig.
Die Feiertage waren nicht anders als andere Wochenenden, an denen seine Eltern auf Geschäftsreise oder im Urlaub gewesen waren. Sie ließen ihn oft allein und meistens war Andreas froh darum. Er fühlte sich wohler in seiner Haut, wenn sie nicht daheim waren.
Warum also fiel es ihm in den letzten Tagen schwer, sich aufzuraffen? Etwas Vernünftiges mit seiner Zeit anzufangen? Warum fühlte er sich allein und abgeschoben? Sascha konnte nicht der Grund sein. Seit ihrem letzten Treffen waren ein bisschen mehr als zwei Tage vergangen. Das war kein Grund, deprimiert in der Ecke zu sitzen.
Andreas kratzte sich faul am Bauch und schaltete desinteressiert durch das Nachmittagsprogramm im Fernsehen. Auf dem Fußboden neben ihm stand eine leere Keksdose – Ivanas selbst gemachte Makronen und Bethmännchen – und das Bett war voller Krümel.
Nachdem er den Heiligabend am Flügel verbracht hatte, hatte er kaum noch etwas Produktives zustande gebracht. Einzig zum Duschen und Rasieren hatte er sich gezwungen. Nur, damit er sich nicht vor sich selbst erschrak, wenn er auf Toilette musste und am Spiegel vorbeikam. Und aus Sturheit. Fürs Anziehen hatte es nicht mehr gereicht.
Wer brauchte Klamotten, wenn es eine Heizung und eine Wolldecke gab?
Eine bittere Weihnachtszeit neigte sich dem Ende zu und er war dankbar dafür. Zu viele hässliche Überlegungen hatten ihn in den letzten Tagen gequält. Er hungerte nach Ablenkung und menschlichem Kontakt. Nach einem lieben Wort und dem Gefühl, nicht allein in der Villa zu sein.
Normalerweise fand er es nie schlimm, der einzige Mensch in dem weitläufigen Gebäude zu sein. Aber in der vergangenen Nacht hatte es ihm Angst gemacht. Er war sich vorgekommen wie ein Hamster im Glaslabyrinth. Die freie Welt sehend, wissend, dass sie existierte, nach ihr greifend und sie doch nie erreichen können. Grausam.
Aber er hatte Pläne für die restlichen Ferien. Aufregende, sinnliche, entspannende, zärtliche Pläne. Andreas lächelte die Schatten unter seinen Augen fort und ließ sich von den Stimmen im Fernseher in einen trägen Halbschlaf wiegen. Schlafen tat gut.
Lange konnte er die seichten Wogen des nachmittäglichen Dösens nicht genießen. Viel zu bald schreckte er hoch und wusste nicht sofort, was ihn geweckt hatte. Erst, als es zum zweiten Mal klingelte – lang und ungeduldig -, begriff er, dass es geläutet hatte.
Augenblicklich machte sein Herz einen erfreuten Satz. Er kannte dieses drängende Klingeln. Das schnelle Drücken der Taste, sodass sich die Glocke an ihrem eigenen Ton verschluckte.
Er hatte heute noch nicht damit gerechnet, aber Gott, er freute sich so sehr, dass er viel zu schnell aus dem Bett sprang und sich auf der Treppe beinahe überschlug. Andreas riss strahlend die Tür auf und zog seinen Besucher ins Haus, bevor die Kälte des Winterabends nach ihm greifen konnte.
Genau das brauchte er jetzt. Eine Überdosis Sascha.
Noch im Halbschlaf und mit weichen Knien vom plötzlichen Aufspringen drängte Andreas seinen Freund mit dem Rücken gegen die Tür und küsste ihn innig. Es zog in seinen Wangen, als er gleichzeitig grinsen und den weichen Mund einnehmen
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