Leben im Käfig (German Edition)
die Vorgänge auf der Party aus sicherer Entfernung beobachtete.
Seine Eltern wuselten mit einem künstlichen Lächeln im Gesicht durch die Menge, begrüßten, unterhielten, lachten, schüttelten Hände, nahmen Gastgeschenke entgegen. Er war sich sicher, dass sie nicht einmal zehn Prozent ihrer Besucher leiden konnten.
„Hat etwas von einem Rudel Raubtiere beim Fressen, nicht wahr? Jeder redet mit jedem, aber im Grunde taxieren sie sich nur und warten darauf, dass der Konkurrent einen Fehler macht.“
Überrascht sah Andreas auf. Eine junge Frau mit kunstvoll hochgesteckten Haaren hatte sich ihm lautlos genähert und nahm neben ihm Platz. Mit einem spitzbübischen Lächeln glitt sie aus ihren Pumps und fuhr mit den nackten Zehen durch das Gras. Sie war unzweifelhaft ein hübscher Anblick. Das enge, schwarze Kleid betonte ihre weiblichen Rundungen und der tiefe Ausschnitt machte ihren Hals lang wie den eines Schwans.
Funkelnd lächelte sie ihn an, bevor sie ihm die Hand entgegen streckte: „Ich bin Yasmin. Und ich fange an zu schreien, wenn ich mir weiterhin etwas von der Miesmuschelzucht oder Weinbergschnecken anhören muss.“
„Andreas“, erwiderte er unsicher. „Und ich habe keine Ahnung von Muscheln und Schnecken.“
„Ist Letzteres zweideutig zu verstehen?“, gurrte sie und warf lachend den Kopf in den Nacken, als er sie entgeistert anblinzelte. Dass er ihre Hand nicht geschüttelt hatte, überspielte sie geschickt. Sie zupfte an einem schmalen Silberarmband, bevor sie kokett die Wimpern flattern ließ: „Du bist der Sohn der von Winterfelds, nicht wahr? Ich habe viel von dir gehört, musst du wissen.“
„Ach ja?“ Andreas konnte sich nicht helfen. Diese ganze Situation kam ihm merkwürdig vor und das lag nicht ausschließlich daran, dass er stoned war. Was bitte gab es von ihm schon zu hören, was eine attraktive Frau, die etwas älter schien als er selbst, interessieren konnte?
„Ja, ich denke schon“, sie fächelte sich mit einer Hand elegant Luft zu. „Puh, es ist aber auch warm. Ich könnte etwas zu trinken brauchen.“
„Getränke gibt es dort drüben“, bemühte Andreas sich, hilfreich zu sein. Das brachte ihm zum ersten Mal einen irritierten Blick seiner neuen Bekannten ein. Zu spät kam ihm der Gedanke, dass sie von ihm erwartete, dass er ihr etwas zu trinken besorgte. Durch die Knigge-Prüfung war er damit durchgefallen. Böse war er deswegen nicht, denn hoffentlich deutete Yasmin seinen Fauxpas richtig und ließ ihn in Ruhe.
Für seinen Geschmack war sie ihm schon zu sehr auf die Pelle gerückt. Er überlegte gerade, was er sagen könnte, um sie loszuwerden, als er bemerkte, dass seine Mutter ihn beobachtete. Bestimmt freute sie sich, dass er sich mit einem Gast unterhielt. Auf den zweiten Blick jedoch wirkte sie gar nicht begeistert, eher schockiert.
„Ich denke, ich warte noch ein wenig, bis es dort ruhiger ist“, forderte Yasmin seine Aufmerksamkeit wieder ein, bevor sie theatralisch Luft holte: „Ich mag solche Partys nicht. Ich ziehe einen privateren Kreis vor.“
Yasmin verlor sich in munterem Geplauder, bombardierte Andreas mit einer Vielzahl Nichtigkeiten, wobei sie jedes Wort mit anmutigen Bewegungen ihres Körpers unterstrich. Sich streckte, sich nach vorne lehnte, sich eine Strähne hinter das Ohr strich. Lächelte. Dummerweise rutschte sie dabei langsam immer näher an Andreas heran.
Moment mal, dachte er hektisch, als die brünette Schönheit besitzergreifend eine Hand auf seiner Schulter platzierte. Baggert die mich etwa an?
„Du machst bestimmt viel Sport, oder?“ Sacht knetete sie seine Muskeln unter dem Hemd.
Oh Gott, ja, tut sie. Hilfe!
Andreas war so schnell auf den Beinen, dass sein Kreislauf nicht hinterher kam. Dunkelheit zog vom Rand seines Blickfelds auf ihn zu, verschwand aber nach einem kräftigen Atemzug wieder.
„Äh, ja“, stotterte er. „Und wo du es gerade erwähnst ... ich muss ... sehen, ob die Getränkekisten schon ausgetauscht werden müssen. War nett, dich kennenzulernen.“
„Aber darum kümmern sich doch bestimmt die Kellner“, rief sie ihm hinterher, als er fluchtartig das Weite suchte. Es kostete ihn einiges an Überwindung, sich nicht umzudrehen und wie ein verzogenes Kind ein abwehrendes Kreuz in Yasmins Richtung zu schlagen.
Nicht, weil sie eine abschreckende Gestalt gewesen wäre. Aber wenn jemand so aggressiv auf einer Party mit dem Sohn der Gastgeber flirtete, über den es entgegen ihrer Behauptung nichts zu
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