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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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gleichzeitig eine große Gefahr.
    Denn wann immer Andreas in eine Situation geriet, wo er Lorazepam zu sich nehmen musste, sehnte er sich in den Tagen danach in den befreiten Zustand jenseits der Angst zurück. Die Stimme des Medikaments lockte ihn und wollte ihn davon überzeugen, mehr zu nehmen. So lange, bis er abhängig war und die normale Dosis nicht mehr reichte. Es war ein Kreuz, dass das einzige Mittel, das ihm half, vorsichtig gehandhabt werden musste.
    Eine Weile sah Andreas durch das Fenster zu, wie sich im Garten nach und nach edel gekleidete Damen und Herren versammelten. Die Grillmeister standen bereits hinter den heißen Kohlen und warteten darauf, die Gäste zu bedienen. Statt eines festen Tischs mit Sitzordnung und klar definierter Essenszeit war es den Besuchern selbst überlassen, wann sie sich am Buffet bedienten und wo sie sich niederlassen wollten. Andreas konnte das nur recht sein. Ein Dinner an einem langen Tisch mit fünfzig oder hundert Fremden hätte er auch bedröhnt nicht durchgestanden.
    Ein letztes Mal sah er auf die Uhr. Eine Stunde, das hatte er sich vorgenommen. Das war mehr, als seine Eltern erwarteten und hoffentlich gerade so viel, wie er ertragen konnte. Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass er unzeremoniell auf einer Gartenbank einschlief, höher schien als die einer Panikattacke.
    Schließlich straffte er die Schultern, beschwor sich innerlich zur Ruhe und machte sich auf den Weg nach unten. Genau, wie er gehofft hatte, waren die erfolgreichen Geschäftsleute fast alle zu sehr mit sich selbst und ihre wertvollen Handelsbeziehungen beschäftigt, um ihn zu registrieren. Nur wenige nickten ihm grüßend zu oder musterten ihn neugierig. Andreas nahm ihre Blicke wie durch einen schützenden Schleier wahr.
    „Da bist du ja“, flüsterte es an seiner Seite, als er mit abwesendem Ausdruck in den Augen den Pool umrundete, um sich den Barkeepern zu nähern. Eine Hand schmiegte sich auf seinen Unterarm und bremste ihn. Seine Sicht verschwamm für eine Sekunde, als er sich umdrehte.
    Seine Mutter wirkte in ihrem lachsfarbenen Kostüm einmal mehr wie eine zerbrechliche Puppe. Sie war perfekt geschminkt und duftete nach einem dezenten Parfüm, das Andreas nicht mochte. Dies lag weniger am Duft selbst als viel mehr daran, dass er mit den diversen Eau de Toilettes und Parfüms seiner Mutter etwas Negatives verband. Wann immer sie in seiner Kindheit teure Düfte aufgetragen hatte, war sie fortgegangen. Zur Arbeit, zum Sport, zum Treffen ihrer Tennisdamen, zu Empfängen, ins Theater. Das war eine seiner frühsten Erinnerungen.
    „Ich habe gesagt, ich versuche es“, sagte er und hoffte, dass er nicht lallte. Seine Zunge war schwer, aber die Worte kamen recht ordentlich aus seinem Mund.
    „Und ich bin stolz auf dich“, lächelte Margarete, suchte seinen Blick und runzelte die Stirn, als sie ihn nicht fand. Hektisch sah sie sich um, bevor sie ihn einen Schritt in Richtung Elbstrand führte: „Was hast du getan?“
    „Was glaubst du wohl?“
    „Ich hasse es, wenn du meine Fragen mit einer Gegenfrage beantwortest“, klagte sie.
    „Hast du etwas eingenommen?“
    „Natürlich, ich hatte doch keine Wahl“, gab er ein wenig zu laut zurück. „Du wolltest unbedingt, dass ich mich sehen lasse. Wie ich das hinkriege, hast du mir überlassen. Also beschwere dich jetzt nicht.“
    „Andreas ... was, wenn das jemand merkt? Das war doch nicht der Sinn der Sache.“
    „Immer wieder gut zu wissen, wo deine Prioritäten liegen, Mama“, schnaubte er angriffslustig. „Ich werde euch schon nicht blamieren. Und wenn doch, seid ihr selber schuld.“
    Mit diesen Worten wandte er sich von ihr ab und ging hinüber zur Getränkeausgabe. Die Versuchung war groß, sich ein Bier oder etwas Stärkeres zu genehmigen, aber das war keine gute Idee, solange ein Beruhigungsmittel in seinem Blut zirkulierte. Sich stattdessen an einer Cola festhaltend schlenderte Andreas durch den Garten. Sein Instinkt hielt ihn davon ab, sich den fremden Menschen zu nähern. Zu lange war er allein gewesen, als dass er gewusst hätte, wie man mit ihnen ins Gespräch kam und Small Talk führte.
    Immer wieder sah er auf die Uhr. Die Sorge, dass die Wirkung des Medikaments nachlassen könnte, war sehr präsent in seinem Kopf. Dennoch genoss er das Gefühl der Abendsonne auf seinem Gesicht und die frische Luft in seinen Lungen. Am Fuß einer Trauerweide ließ er sich auf eine gusseiserne Bank fallen und streckte die Beine aus, während er

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