Leben im Käfig (German Edition)
Fanta, Saft, Wasser oder Bier?“
„Bier? Immer.“ Sascha grinste mindestens ebenso breit zurück. Diese Eigenart Andreas' mochte er. Wenn ein Thema zu den Akten gelegt wurde, blieb es auch da. Das war ein sehr angenehmer Charakterzug.
Kurz darauf verschwand der Hausherr nach unten, um mit mehreren Flaschen kalten Biers wiederzukommen. Natürlich tat es auch dieses Mal nicht das einfache Bier vom Aldi, sondern ein namhafter Hersteller musste dran glauben. Sie stießen an und tranken durstig. Bevor sie mit dem Spiel begannen, stand Andreas noch einmal und schloss die Zimmertür ab: „Sicher ist sicher. Ich habe keine Lust, dass meine Mutter wieder reinplatzt.“
Als Sascha gegen Mitternacht angetrunken die Villa verließ, fühlte er sich bedeutend besser. Über den Tag war es ihm gelungen, das unliebsame Telefonat weitestgehend zu verdrängen. Andreas war dabei eine große Hilfe gewesen, denn er gab ihm das Gefühl, herzlich willkommen zu sein. In seiner Situation war dies Balsam auf Wunden, deren Existenz er sich nicht eingestehen wollte. Wie er mit Andreas und dessen Krankheit umzugehen hatte, wusste Sascha dennoch nicht. Er wusste zu wenig, um sich ein Bild machen zu können. Zwischendurch hatte es Momente gegeben, in denen der andere merklich zappelig wurde. Es war aber jedes Mal vorbei gegangen, bevor Sascha wusste, wie er helfen oder die Situation entschärfen konnte. Er hoffte sehr, dass Andreas sich daran gewöhnte, ihn um sich zu haben. Ohne, dass er sich dessen bewusst gewesen wäre, wurden die Villa Winterfeld und Andreas für ihn ganz heimlich zu einem sicheren Hafen, den er nur ungern wieder aufgegeben hätte.
Kapitel 14
Es war auf atemberaubende Weise beängstigend und auf ekelhafte Weise aufregend. Es war so befreiend und wundervoll, dass Andreas das Gefühl hatte, eine eiserne Kette läge um seine Kehle. Es war erschreckend und auf eine eigene Art grausam, aber dennoch das Beste, was ihm seit Jahren passiert war. Es war schizophren und heilsam zugleich.
Warten.
Darauf lief es letztendlich hinaus. Zwei Tage in Folge hatte er in angenehmer Gesellschaft verbracht und schon hatte er sich daran gewöhnt, obwohl es anstrengend war, Sascha um sich zu haben.
Nach dem ersten Tag war Andreas so überwältigt und müde gewesen, dass er mit leerem Magen noch vor neun Uhr einschlief und entsprechend am nächsten Morgen wieder lange vor der Zeit erwachte. Dieses Mal hatte er nicht den Fehler gemacht, in die Küche zu gehen. Er wollte keine neugierigen Fragen beantworten. Stattdessen war er in seinem Zimmer auf und ab gegangen und hatte sich Mühe gegeben, nicht an Sascha zu denken. Sich nicht zu fragen, wann und ob sie sich wiedersehen würden. Gegen Mittag hatte er sich davon überzeugt, dass keine Freundschaft der Welt so eng war, dass man sich jeden Tag sah. Es war in Ordnung. Abgesehen von dem sanften Nagen in seiner Brust, das mit jedem Herzschlag um mehr zu bitten schien, war er zufrieden gewesen. Oder zumindest redete er sich das ein.
Überschüssige Energie hielt ihn davon ab, sich in seinem Zimmer aufzuhalten. Es war ihm an diesem Tag sehr leicht gefallen, in den Fitness-Raum zu gehen. Das Rennen auf dem Laufband hatte gut getan. Es lenkte ihn von den anderen Dingen ab, die sein Körper mit einer Vehemenz einforderte, die man nur noch als Frechheit bezeichnen konnte.
Als Sascha unerwartet und unangemeldet vor der Tür stand, war Andreas nicht sicher gewesen, ob er lächeln oder fluchen sollte.
Fluchen, weil er in seinen Sportsachen aussah wie ein in den See gefallener Windhund. Lächeln, weil er sich über den Besuch freute wie ein Schneekönig. Dabei gab es kaum einen Grund zur Freude. Er war nicht in der Lage gewesen, das Kind beim Namen zu nennen, aber Sascha hatte nicht gut ausgesehen. Blass, klein, zertreten wie ein Insekt. Traurig.
Und Andreas hatte mehr wissen wollen und für seine Informationen bezahlt, indem er etwas von sich selbst preisgab. Danach hatten sie nicht mehr darüber gesprochen; nicht über ihn selbst und nicht über Saschas Familiendilemma.
Stattdessen hatten sie Stunde um Stunde ihren Frust an der Playstation ausgelassen. Zu viel getrunken, zu viel Unsinn geredet und zu dicht beieinandergesessen. Als Andreas an diesem Abend allein war, glaubte er Saschas Körpergeruch immer noch in seinem Zimmer zu riechen. Vielleicht war es aber auch nur der Hauch abgestandenen Bieres. Nein, das hatte es ihm nicht leichter gemacht, zur Ruhe zu kommen oder die Nacht
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