Zwei Frauen: Roman (German Edition)
KAPITEL 1
Es war im Frühjahr 1962 an der italienischen Riviera. Der Ort war klein, er lag irgendwo zwischen Finale Ligure und Alassio. Hier gab es noch keinen Touristenrummel, hier regierten noch die Fischer. Abends fuhren sie mit ihren Booten aufs Meer hinaus, morgens kehrten sie zurück und legten am Strand ihre Netze aus, und den Tag verbrachten sie im Schatten der Palmen auf der Strandpromenade. Dort schliefen sie, dort aßen sie, dort debattierten sie lautstark über Politik. Währenddessen standen ihre Frauen auf dem Markt. Sie verkauften den nächtlichen Fang, aber auch den selbst gemachten Käse, das im eigenen Gärtchen gezogene Obst und Gemüse, die handgestrickten Pullover und Tischdecken, und nicht selten boten sie alles zusammen an einem einzigen Stand feil. Der Lärm, den sie dabei machten, klang in meinen Ohren wie Musik. Ich liebte diese Frauen, die mich »bella bimba« nannten, und ich liebte ihre Männer, die mich »bella bionda« riefen, wie ich diesen ganzen Ort liebte, seine malerische Altstadt, seinen lang gestreckten weißen Strand, die sich majestätisch erhebenden Gebirgszüge im Hinterland. Noch nie hatte ich etwas ähnlich Schönes gesehen.
Damals war ich gerade vier Jahre alt. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich meine Eltern in die Ferien begleiten dürfen. Wir bewohnten ein Haus in den Bergen. Von der Terrasse aus hatte man einen wundervollen Blick aufs Mittelmeer, und an klaren Tagen konnte man am Horizont sogar die großen Frachter erkennen, die den Hafen von Genua ansteuerten. Auf dieser Terrasse frühstückten wir morgens, und anschließend fuhren wir dann mit dem Wagen zum Meer hinaus. Dort saß ich oft stundenlang im warmen Sand und baute Burgen, die ich mit grobem Kies und großen Steinen verzierte. Manchmal lief ich mit meiner Mutter zum Jachthafen, um die ankernden Segelschiffe zu bestaunen, oder ich tobte mit meinem Vater im Wasser. Meist spielte ich jedoch mit italienischen Kindern: Legte ich beide Hände vor die Augen, wussten sie, dass sie sich verstecken sollten, streckte ich die Zunge heraus, hieß das, dass der Eismann gleich Kundschaft bekommen würde – so konnten wir uns über alle Sprachbarrieren hinweg mühelos verständigen. Dann kam der 28. April.
Es war ein ganz besonders klarer, aber auch stürmischer Tag. Die Fischer waren am Vorabend gar nicht erst hinausgefahren, und deshalb standen ihre Frauen auch nicht wie sonst auf dem Markt. Überhaupt schien das ganze Dorf ausgestorben zu sein, denn als ich morgens mit meinen Eltern an den Strand kam, waren wir trotz des strahlenden Sonnenscheins die einzigen Gäste. Mit uns war nur noch die rote Fahne, das Zeichen für Gefahr. Sie flatterte im Wind, und zu ihren Füßen gingen krachend mannshohe Wellen nieder. Ich fand das großartig, es war so gewaltig. »Es ist aber auch gefährlich«, behauptete meine Mutter, um mir alsdann ausdrücklich zu verbieten, mich dem Wasser auch nur zu nähern. »Spiel im Sand!«
Das passte mir zwar gar nicht, doch nickte ich artig, wie es meine Art war, und dann ließ ich mich nieder, um mich meinem Schüppchen, meinem Eimer und meinen Förmchen zu widmen.
Wie lange ich so dasaß, wusste später niemand mehr zu sagen, und ich selbst erinnere mich nur, dass mich das Spiel mit den Förmchen irgendwann fürchterlich langweilte. Deshalb fing ich an, meine Eltern mit den üblichen Forderungen zu bestürmen: »Ich habe Durst! Ich habe Hunger! Ich will mit dem Ball spielen! Ich möchte ein Eis!«
Gerade wollte ich aufstehen, als mein Vater trotz der roten Fahne in die tosenden Fluten stürzte und weit hinausschwamm. Dort draußen legte er sich flach auf den Rücken, sodass ich nur noch seinen Kopf und seine Zehenspitzen sehen konnte. Er ließ sich von den Wogen schaukeln. Wut und Enttäuschung machten sich in mir breit. Sonst nahm Papa mich immer mit, mich und Helmut, mein Schwimmtier, ein sonnengelbes, luftgefülltes Seehundungetüm aus Plastik, das ich über alles liebte. Das lag jetzt einsam und verlassen neben meiner Mutter, die im Windschatten der Strandbar saß, und als ich zu ihr lief, um mich zu beschweren, musste ich zu allem auch noch feststellen, dass sie schlief.
Man hatte mich also abgehängt! Da kam mir eine Idee: Ich pirschte mich mit vorgeschobenem Unterkiefer – dem deutlichsten Anzeichen meiner kindlichen Entschlossenheit – heran an mein geliebtes Schwimmtier, schnappte es mir unbemerkt und rannte zum Ufer zurück. Dort wurde es schwierig. Helmut war mir zwar
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