Leben im Käfig (German Edition)
ich nicht. Schau, du kennst keine Leute mit psychischen Krankheiten, oder? Dachschaden hören die meisten übrigens nicht so gerne.“
„Ne, kenne ich nicht.“
„Ich bin Musikerin. Es ist ein Klischee, aber unter Künstlern gibt es schon den ein oder anderen mit psychischen Problemen. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich seltsam benehmen oder man nicht mit ihnen befreundet sein kann. Meistens bekommt man nicht einmal mit, dass sie ein Problem haben. Benimmt sich Andreas irgendwie seltsam, wenn du da bist? Also wirklich seltsam?“
„Er ist immer ziemlich nervös“, nickte Sascha langsam. „Aber ansonsten eigentlich nicht. Er ist cool.“
„Na siehst du. Wo ist also das Problem? Es wird weder von dir erwartet, dass du ihn therapierst noch dass du ihn heiratest. Wenn ihr zusammen Spaß habt, dann habt Spaß. Wenn nicht, dann nicht. Aber nimm dir das nicht weg, nur weil du unsicher bist. Ich glaube eh nicht, dass Andreas dir in dieser Sache sein Herz ausschütten wird.“
„Du sagst also, ich soll ihn ganz normal behandeln? Wie jemanden, der nicht krank ist und ignorieren, was ich herausgefunden habe?“ Sascha war sich nicht sicher, ob ihm dieser Balanceakt gelingen würde.
„Würdest du jemanden, der Diabetes hat, anders behandeln als einen gesunden Freund?“
„Nein, natürlich nicht. Außer, er bekommt vor meinen Augen Heißhunger und futtert sich ins Zucker-Koma.“
„Siehst du?“
Unentschlossen sah Sascha wieder aus dem Fenster. Von hier aus konnte man die Winterfeld-Villa nicht sehen. „Ich weiß nicht. Es wäre einfacher, bis zum Schulanfang zu warten und dort neue Leute kennenzulernen. Das hier stinkt irgendwie nach Verantwortung.“
„Weil man einen Kumpel, der sonst keine Freunde hat, nicht einfach fallen lassen kann?“
„Genau.“
Ein weicher Zug geisterte über Tanjas hübsches Gesicht: „Damit machst du dir jetzt schon mehr Gedanken um Andreas, als die meisten anderen Menschen vermutlich tun würden.“
„Warum legst du so viel Wert darauf, dass ich den Kontakt nicht abbreche? Ich habe mich mit vielen Leuten nur ein oder zwei Mal getroffen und sie hinterher nie wieder gesehen.“
„Weil ich Andreas mag und weil ich dich mag. Und weil es dir vor drei Tagen wirklich dreckig ging – streite es bloß nicht ab – und du sofort zu ihm gegangen bist. Er tut dir gut und du tust ihm bestimmt auch gut. Warum sollte man das wegwerfen?“
„Keine Ahnung.“
Sascha wollte es nicht laut sagen, aber Tanjas Art war gerade ein wenig anstrengend. Es kam ihm vor, als mache sie aus einer Mücke einen Elefanten. Sie waren nur Kumpels; noch nicht einmal Freunde. Oder? Vermutlich war das ein Teil des Problems. Sie verstanden sich so verdammt gut. Was sagte das über ihn selbst aus? Hatte er auch einen Klaps? Nein, sicher nicht. Er hatte lediglich ein paar Probleme mit der Selbstgerechtigkeit seiner Eltern; nicht mehr und nicht weniger.
Aber darum ging es nicht. Vermutlich hatte Tanja recht. Alles, was zählte, war die Frage, ob er Andreas mochte und gerne mit ihm zusammen abhing. Und das tat er. Alles andere würde sich zeigen. Eigentlich war es ganz einfach.
Er spürte den Knoten in seinem Inneren platzen und sah Tanja dankbar an: „Ich glaube, du hast recht. Ich denke, ich sollte mal nach drüben gehen.“
„Um was zu tun?“, fragte sie beinahe misstrauisch.
„Keine Sorge, ich will nicht meine Sünden beichten“, grinste Sascha noch ein wenig unsicher. „Zum Abhängen, zocken, was auch immer.“
„Das klingt gut“, lächelte sie warm. In ihren Augen stand ein Ausdruck, den er nicht sofort identifizieren konnte. Erst, als er schon auf halben Weg nach drüben war, begriff er, dass sie stolz auf ihn war.
* * *
„Besuch für dich!“, schallte es aus dem Flur in Andreas' Zimmer. Er setzte sich auf und sah zur Tür, als er die schnellen Schritte auf der Treppe hörte. Er lächelte.
Jemand trommelte voller Energie gegen das Türblatt.
„Es ist offen!“, rief er mit einem Mal hervorragend gelaunt. Sein Herz machte einen Satz nach vorne, während er sich eilig umsah, ob verräterisches Material offen herumlag.
Puh, nein, tat es nicht. Er achtete in diesen Tagen sehr auf sein Zimmer und auch auf sich selbst. Erstaunlich, wie viel besser er sich dadurch fühlte.
Als Sascha hereinkam, lächelte Andreas: „Hey, wieder fit?“
„Ja, was nur so ein Zwölf-Stunden-Ding“, erwiderte der Neuankömmling verwirrt und starrte zu ihm herunter. „Liegst du öfter auf dem
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