Leben im Käfig (German Edition)
die Achseln, als er keine fand.
Massakriert mit dem eigenen Bücherregal. Das schaffe auch nur ich, dachte er sich finster.
Obwohl er sich besser fühlte, nachdem er sich selbst zur Ordnung gerufen hatte, ging er nicht ins Bett.
Verloren in seiner Gedankenwelt wartete er auf den Sonnenaufgang. Er sah dabei zu, wie das Licht tastend in sein Zimmer eindrang und aus den Schatten feste Formen formte. Einige Zeit später hörte er seine Eltern durch die Flure gehen und leise murmelnd ihren Tag einläuten.
Als sein eigener Wecker klingelte, war er gerade so weit, dass er glaubte, endlich schlafen zu können. Nun war es zu spät. Ein neuer Tag war da und mit ihm ein neues Schuljahr, obwohl sich Andreas' Lernzyklen nicht in den üblichen Schuljahren bemessen ließen.
Sein Körper war übermüdet und er hatte den berühmten toten Punkt, nach dem einem alles egal wurde, noch nicht überwunden. Es war nicht die erste Nacht, die er durchmachte. Er wusste, dass er nach zwei bis drei Tassen Kaffee fit genug für den Unterricht sein würde. Aber er wollte nicht. Wofür sollte er sich mit Mathematik, Chemie und Latein auseinandersetzen? Welches Ziel steuerte er an? Keines.
Für ihn gab es nur eine einzige Frage: Wie würde Sascha sich entscheiden?
Gegen neun Uhr schlich Andreas mit geröteten Augen ins Erdgeschoss. Er zitterte von der eiskalten Dusche, mit der er seine Lebensgeister wecken wollte. Funktioniert hatte es nur bedingt. Einen Vorteil hatte die Übermüdung. Solange er damit beschäftigt war, wach zu bleiben, ängstigte ihn die schulähnliche Situation nicht. Gleichzeitig fast einschlafen und in Panik geraten ging nicht.
Ohne anzuklopfen, betrat er die Bibliothek. Dr. Schnieder blätterte in einem schweren Wälzer und wartete auf ihn. Über den Rand des Buches hinweg sah er ihm entgegen und zog eine Augenbraue hoch. Statt einer Begrüßung murmelte er: „Na, das kann ja heiter werden.“
Andreas konnte ihm nur zustimmen.
* * *
Bei dem Gymnasium handelte es sich um einen roten Backsteinbau, an dessen Hauptgebäude man so oft angebaut hatte, dass das Gebilde einem Stapel Bauklötze ähnelte. Kreuz und quer spannten sich die schwarzen Schindeln der Dächer und beherbergten ein Wirrwarr an Regenrinnen, die von den Wänden flossen wie silberne Spinnenfäden. Wenn die Konstruktion der Schule im Inneren auch nur ansatzweise so verwirrend war wie von außen, würde er sich frühestens kurz vor dem Abitur darin zurechtfinden.
Schwermütig biss Sascha die Zähne zusammen. Er hatte keine Lust.
Seit Tagen hatte er jeden Gedanken an die neue Schule von sich geschoben. Jetzt, wo er sich mit dem Thema auseinandersetzen musste, fühlte es sich falsch an. Mit einigen seiner alten Bekannten war er seit dem Kindergarten zusammen gewesen. Die Vorstellung, dass sie nun nicht in einem nach Reinigungsmitteln und Kreide riechenden Klassenzimmer auf ihn warteten, war schlicht skurril.
Er kannte niemanden hier. Nicht die Cliquen, nicht die Einzelgänger, nicht die Lehrer, nicht die zu meidenden Ecken und nicht die Treffpunkte der coolen Leute.
Mist, warum konnten die Ferien nicht noch ein wenig länger dauern? Hatte er sich einmal auf die neue Schule gefreut? Ja, aber das schien lange her zu sein.
Jetzt reiß dich mal zusammen, Suhrkamp, machte er sich Mut. Wenn du hier draußen dumm herumstehst, starrt dich jeder an. Also geh da rein und hol dir deinen Stundenplan.
Etwas anderes blieb ihm eh nicht übrig. Er rückte den Riemen seines Rucksacks zurecht und stiefelte zum Haupteingang.
Drinnen öffnete sich eine hohe Aula vor seinen Blicken, die ein naturbezogener Mensch mit allerlei Pflanzen dekoriert hatte. Dass die Palmen nicht viel von der ruppigen Art der Schüler hielten, zeigte sich an ihren hängenden Blättern.
Sascha bahnte sich einen Weg durch die Gruppen lachender und sich begrüßender Schüler. Eine Art Wegweiser fand er nicht; nur ein halbes Dutzend Gänge, die mit unbekanntem Ziel von der Aula abzweigten.
Kurz entschlossen nahm er zwei aufgeregt schwatzende Mädchen beiseite und fragte sie nach dem Weg ins Sekretariat. Sie starrten ihn an, als hätten sie noch nie einen Jungen gesehen, und giggelten volle dreißig Sekunden lang aufgeregt, bevor etwas Vernünftiges aus ihnen herauszubekommen war.
Im Verwaltungstrakt angekommen kamen ihm zwei herrisch wirkende Lehrer der alten Schule entgegen. Sie maßen ihn mit skeptischen Blicken und Sascha hoffte, dass er keinen von ihnen im Unterricht hatte. Bei diesem
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