Leben im Käfig (German Edition)
der ist mein Bruder.“
„Wann das denn?“
„Keine Ahnung, ist schon länger her.“ Sina deutete auf ihre Wange und auf ihre Nase. „Hierhin und dahin. Biiittte?“
Seufzend gab Sascha nach und wischte ein winziges Küsschen auf Sinas Haaransatz. Er konnte nur darauf bauen, dass sie damit nicht zu Tanja lief und die Sache anders darstellte, als sie gewesen war. Oder bei ihren Freundinnen daheim am Kaffeetisch behauptete, ihr achtzehnjähriger Cousin hätte sie geküsst.
Glücklicherweise schien Sina mit der eingeheimsten Liebkosung zufrieden und sprang wieder von seinem Schoss.
Sie spielten vier anstrengende Runden „Hexentanz“ und einmal „Memory“, bis Aidens Schlüssel unten im Schloss schabte und Sascha mit herzlichem Dank für seine geopferte Zeit entlassen wurde. Er hatte bereits Neuigkeiten von Tanja und wusste zu berichten, dass alles nach einem Bänderriss aussah.
Insofern hatte Sascha kein allzu schlechtes Gewissen, als er sich bald darauf verabschiedete und sich endlich auf den Weg zu Andreas machte. Er freute sich auf einen ruhigen Nachmittag und Abend, rechnete fest damit, dass die von Winterfelds nicht daheim sein würden, wie es in vergangenen Monaten meistens der Fall gewesen war. Besonders an den Wochenenden.
Er hungerte nach Ruhe.
Auf sein Klingeln hin tat sich zunächst gar nichts. Ob Andreas sauer auf ihn war, weil er später als versprochen kam? Mist, vielleicht hätte er ihn kurz anrufen sollen, dass er sich verspätete. Sascha musste zugeben, dass es nett gewesen wäre, seinem Freund Bescheid zu geben. Vor lauter Kindertränen, Tanja-Hektik, Wallraff-Predigten, schwarzen Spielfiguren und Sina-Küssen hatte er nicht daran gedacht.
Seine Finger wanderten zum zweiten Mal zum Klingelknopf, als die Haustür vorsichtig einen Spaltbreit geöffnet wurde und Andreas' blasse Miene zum Vorschein kam. Kaum, dass er Sascha erkannt hatte, der bereits eine Entschuldigung auf der Zunge hatte, legte Andreas den Zeigefinger auf die Lippen und winkte ihm hektisch hereinzukommen. Fragend hob Sascha die Hände, wurde jedoch mit einem wilden Kopfschütteln abgespeist und am Ärmel seiner Jacke in den Flur gezogen.
„Leise“, zischte Andreas. Das Wort ging angesichts des infernalischen Geschreis aus einem der angrenzenden Räume fast unter. Zwei Stimmen brüllten gegeneinander an; eine weiblich, eine männlich.
„Deine Eltern?“, wisperte Sascha überrascht. „Was machen die denn hier?“
„Spinnen“, antwortete sein Freund lapidar und deutete mit dem Daumen in Richtung der Treppe.
Hintereinander schlichen sie ins oberste Stockwerk. Kaum, dass sie Andreas' Zimmer erreicht hatten, schloss dieser hektisch hinten ihnen ab und lehnte sich schwer gegen die Tür.
Verwundert bemerkte Sascha das Arsenal auf dem Schreibtisch seines Freundes.
Mehrere Flaschen Wasser, Saft und Cola, eine Thermoskanne, ein Teller mit gebratenen Schnitzeln, die mit Frischhaltefolie abgedeckt waren, eine Schale Äpfel, Müsli, zwei Liter Milch, eingeschweißter Kuchen, Mandarinen in der Dose, Knäckebrot und Honig, Schokoladenriegel und Knabberkram, zwei Frischhaltedosen mit unbekanntem Inhalt.
Dazu Besteck, Gläser, Teller und Schüsseln.
„Willst du hier überwintern?“, fragte Sascha verwirrt. „Und was ist hier eigentlich los? Warum sind deine Eltern da? Und was schreien die da unten so herum?“
„Frag mich etwas Leichteres, aber ja, ich will hier überwintern. Nach unten gehe ich sicher nicht. Höchstens, wenn das Dach Feuer fängt“, seufzte Andreas betrübt. „Ich weiß nicht, was los ist. Meine Mutter ist gestern total ausgeflippt. Du machst dir keine Vorstellung, was sie alles behauptet hat. Mein Dad und ich würden ihr die Firma wegnehmen wollen. Wir würden zusammen Intrigen spinnen. Sie hat ihn übel beschimpft. Und hinterher hat er mir erzählt, dass sie schon länger seltsam drauf ist. Auch auf der Arbeit. Und heute geht es genauso weiter. Sie ist irgendwie krank und doch wieder nicht und will nicht daheimbleiben, aber die Ärzte sagen, dass sie sich erholen muss. Scheiße, keine Ahnung.“
„Ach Mann.“
Sascha konnte nicht anders. Er war gereizt. Nicht von Andreas, sondern von dessen Eltern, von Fabian, der sich die Bänder reißen musste, von der Schule und von allem anderen auch. So viel zu seinem ruhigen Freitag. Konnte das Leben sie nicht ab und an mal in Ruhe lassen? Nur für ein paar Wochen?
„Das ist doch alles zum Kotzen.“
„Ja“, stimmte Andreas ihm wortkarg zu.
Sascha
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