Leben im Käfig (German Edition)
verwunderte Nachfrage aus dem Wohnzimmer und sprintete nach oben.
Er kochte. Vor Enttäuschung, vor schlechtem Gewissen, vor unterdrückter Geilheit, vor Sehnsucht nach seinem Freund, aber vor allen Dingen vor Wut.
Auf Andreas, auf die Schule, auf das Abitur, auf die Leute in seinem Umfeld, die dauernd etwas von ihm wollten, auf seine Eltern, auf seine kleine Schwester und nicht zuletzt auf sich selbst.
„Das ist doch alles zum Kotzen!“, schrie er auf und trat mit voller Wucht gegen die Wand zwischen den Heizkörpern in seinem Zimmer.
Er hatte es sich in den schönsten Farben ausgemalt. Den Abend, das Wochenende idealisiert. Trotz der Lernerei. Tagsüber fleißig arbeiten, abends zu Andreas.
Knutschen, miteinander schlafen. Schweigen. Nicht denken. Ein paar Filme ansehen, dabei als untrennbares Paket auf dem Bett liegen, bis einer von ihnen die Finger nicht länger bei sich behalten konnte.
Aber dann war Brain dahergekommen, der Hilfe mit seinem Auto brauchte. Als ob Sascha etwas von Motoren verstand!
Und Isa hatte darauf bestanden, dass er sie morgen Abend auf den Gig ihrer Lieblings-Underground-Band begleitete. Und er wollte es. Er wollte zu dem Konzert gehen und er wollte mit Brain an dessen Karre schrauben, während sie einen halben Kasten Bier vernichteten.
Gleichzeitig wollte er Andreas sehen, Zeit mit ihm verbringen. Von den Dingen, mit denen er sich beschäftigen musste, obwohl er es nicht wollte, ganz zu schweigen.
War es denn zu viel verlangt, dass sie zusammen waren, ohne dass es um bescheuerte Mütter, kranke Mütter, seltsame Väter, dumme Väter, besorgte Geschwister, fertige Tanten und Schule ging? Einfach nur vögeln und fernsehen? So wie am Anfang?
Warum führte Andreas sich plötzlich wie eine eifersüchtige Ziege auf? Hatte er hinter dem Fenster geklebt, Miriam und ihn mit Argusaugen beobachtet?
Meine Güte, sie hatten doch nicht auf dem Rasen miteinander geschlafen. Sie hatten nur ein wenig herumgealbert. Spaß gehabt. Gut, das Ziel des Ausflugs war es gewesen, zusammen zu lernen. Aber sie hatten es nicht geschafft. Stattdessen hatten sie sich wieder und wieder in anderen Themen verloren und auf einmal war der Nachmittag vorbei gewesen.
Was ging es Andreas an? Sascha war ihm keine Rechenschaft schuldig. So funktionierte ihre Beziehung nicht.
„Ist etwas passiert?“
Leise wie eine Katze hatte Tanja sich an ihn herangeschlichen und stand mit verschränkten Armen im Türrahmen. Impulsiv wollte Sascha sie anfahren, unterließ es jedoch im letzten Moment. Immerhin war seine Tante in Hamburg so etwas wie seine Mutter und er konnte nicht auch noch Krach auf dieser Baustelle brauchen.
„Ja. Nein. Keine Ahnung. Frag mich etwas Leichteres“, murrte Sascha in Ermangelung einer besseren Antwort.
„Streit mit Andreas?“
Er wollte nicht darüber reden, konnte keine Standpauke gebrauche, aber wie so oft, seitdem er von daheim fortgegangen, zwang ihn der Überdruck in seiner Brust zum Sprechen: „Kann man laut sagen. Ich meine ... was denkt er sich denn dabei? Ich kann doch nicht den Rest der Welt ausblenden. Klar hat er Probleme, aber die habe ich auch. Und dann komme ich vorbei, habe endlich ein bisschen Zeit und freue mich auf einen netten Abend und er macht komische Bemerkungen. Über Miriam. Schaut mich an wie ein geprügelter Hund, als ich ihm sage, dass ich später mit Brain verabredet bin, und schmeißt mich am Ende raus.“ Überrascht runzelte Tanja die Stirn: „Er hat dich rausgeworfen? Wirklich?“
„Mehr oder weniger. Er hat ... gemeint, dass das heute nichts bringt und dass wir ein anderes Mal reden sollten. Aber ich will nicht reden, verdammt. Worte gehen mir auf den Keks. Sie kommen mir zu den Ohren heraus. Und die meisten haben mit Nationalsozialismus oder dem Drama zwischen Katja und meiner Mutter zu tun. Und jetzt zickt Andreas auch noch herum.“
„Hm ...“, erwiderte Tanja kaum hörbar.
„Was heißt denn Hm ?“, hakte Sascha streitlustig nach.
„Dass ich uns jetzt einen Tee mache und wir uns mal ein bisschen unterhalten.“ Sie lächelte beschwichtigend. „Keine Angst, keine Standpauke. Aber ich wollte schon länger mit dir reden und der Zeitpunkt scheint passend zu sein. Kommst du mit nach unten?“
„Noch mehr reden?“ Sascha war nicht begeistert, aber im Blick seiner Tante lag etwas Zwingendes, das er nicht ignorieren wollte oder konnte.
Zehn Minuten später saßen sie sich im Wohnzimmer gegenüber auf der Couch. Tanja im Schneidersitz, Sascha mit
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