Leben im Käfig (German Edition)
hatten sie etwas gemeinsam. Nein, das war nicht gerecht. Sascha hatte Freunde. Er gab sich nur nicht der Illusion hin, dass die eher lockeren Bindungen die große Entfernung überdauerten.
Freunde, Kumpels, gute Bekannte, die Übergänge waren fließend und hatten ihn früher nie interessiert. Heute wünschte er, ein wenig sicherer zu sein, wer wirklich sein Freund war und wer nur eine Zweckgemeinschaft mit ihm teilte.
„Fuck“, fluchte er herzhaft und trat gegen einen leeren Blumenkübel. Das fehlte ihm gerade noch. Sinnkrise auf allen Ebenen. Das konnte er nicht gebrauchen. Die Rolle des getretenen Welpen stand ihm nicht. Er musste hier raus.
Sascha wollte es darauf ankommen lassen. Wenn Andreas nicht da war oder ihn nicht sehen wollte, war das kein Weltuntergang. Dann würde er in die Innenstadt fahren und eine Weile durch die Geschäfte streifen. Das würde auch seinen Zweck erfüllen, obwohl ihm ein Besuch bei Andreas lieber wäre.
Keine zwei Minuten später stand Sascha auf dem Podest vor der Winterfeld-Villa und fühlte sich etwas unbehaglicher als ihm recht war. Erstaunlich, wie schnell sich auf dreißig Metern Weg Zweifel einschleichen konnten. Als er klingelte, tat sich gar nichts. Keine Frau von Winterfeld, keine Haushälterin, kein Andreas. Pech gehabt. Er wunderte sich trotzdem. Wenn Andreas nie das Haus verließ, musste er doch da sein. Oder gab es Tage, an denen es ihm zu schlecht ging, um die Tür zu öffnen? Wahrscheinlicher war, dass er Sascha das Grundstück betreten hatte sehen und nicht aufmachen wollte. So viel zum Thema Aufdringlichkeit. Gäste und Fisch wurden bekanntlich nach drei Tagen schlecht.
Sascha wandte sich zum Gehen und versuchte sich an den Fahrplan des Busses zu erinnern. Es wurde Zeit, dass er seinen Führerschein machte. Vielleicht durfte er sich manchmal Tanjas Auto leihen. Er stopfte die Hände in die Hosentaschen und war auf der letzten Stufe der kleinen Treppe, als hinter ihm die Tür ging und jemand seinen Namen rief.
Abrupt fuhr er herum. Andreas lehnte im Türrahmen und sah auf den Punkt gebracht grauenhaft aus. Schweiß perlte über sein gerötetes Gesicht und seine Oberarme. Seine Lippen wirkten zu rot für seinen ungesunden Teint. Seine Haare hatten sich gelöst und klebten nass an seinem Hals. Am schlimmsten war jedoch sein fliegender Atem, der Sascha das Gefühl gab, mit einem Erstickenden zu tun zu haben.
„Wie siehst du denn aus?“ Kurz glaubte Sascha, dass mit seinen Ohren etwas nicht in Ordnung war, bis er begriff, dass Andreas und er sich zeitgleich dieselbe Frage gestellt hatten. Wie sollte er schon aussehen? Keine Ahnung, das war auch egal, solange Andreas nach Luft schnappend in der Tür lehnte und sich schlapp vorne über beugte; die Hände auf die Oberschenkel gestützt.
„Mann, was ist mit dir los?“, fragte er noch einmal und hetzte auf den Freund zu. „Kriegst du keine Luft?“
„Pfft“, keuchte Andreas. „Du bist ja lustig. Das passiert eben, wenn man seit einer Stunde auf dem Laufband rennt und es plötzlich klingelt.“
Laufband? Sascha kam es vor, als würde ihm ein Farbfilter vor den Augen weggezogen. Warum hatte er das nicht vorher gesehen? Sport, ganz schlicht und ergreifend Sport. Andreas drohte nicht zu ersticken und hatte auch kein Fieber. Er hatte sich nur verausgabt. „Sorry“, murmelte er. „Ich wollte dich nicht stören. Ich dachte nur, du hättest vielleicht nichts zu tun und ...“
„Willst du reinkommen?“, bot Andreas sofort an und riss die Tür weit auf. Es konnte keinen Zweifel daran geben – oder Sascha wollte ihn nicht wahr haben -, dass die Einladung ehrlich gemeint war. Er lächelte schief und nickte.
Der Blick des Winterfeld-Sprösslings brannte ihm im Nacken, als sie gemeinsam nach oben gingen. Sascha war erleichtert, dass er die Situation in der ersten Schrecksekunde in den falschen Hals bekommen hatte. Komisch blieb sie dennoch, aber er konnte nicht eingrenzen, warum.
Schnaufend trat Andreas in sein Zimmer und ging an den Kleiderschrank. Mit frischen Sachen unter dem Arm drehte er um: „Ich muss dringend duschen. Mach es dir gemütlich. Ich brauche nicht lange.“
Schweigend nickte Sascha und steuerte schnurstracks auf den Ledersessel vor Andreas' Schreibtisch zu. Er lächelte, als er bemerkte, dass der Computer lief und in ihr Spiel eingeloggt war. Neugierig überflog er die Statistiken der zuletzt gespielten Partie, ohne sie wirklich zu sehen. Andreas und das Laufband. Wieso kam ihm das so
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