Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
ich mein Büro auf die Straße verlagere?“
„Jetzt gleich?“
„Natürlich nicht. Ich bin kein Idiot.“
„Haben Sie eine Ahnung, wer die Attentäter sein könnten?“
„Nein. Dann wäre es dazu nicht gekommen.“
„Man spricht von radikalislamischen Terroristen.“
„Von denen redet man immer. Jetzt muss ermittelt werden.“ Der Bürgermeister sieht hinauf zum Rathaus, die Fotografen drücken wie besessen ab.
„Herr Bürgermeister, können Sie bitte noch einmal so hinaufschauen? Ein bisschen weiter nach links bitte, dann haben wir den Eingang noch mit drauf!“
Der Bürgermeister bewegt sich pflichtschuldig nach links, blickt nach oben. Erst als alle Kameras mehrfach geblitzt haben, faucht er: „So ein Blödsinn. Ich hab wirklich Wichtigeres zu tun.“
Einige Krankenwagen kommen mit Blaulicht, sie rasen zum hinteren Ausgang. Ein paar Journalisten sprinten los. Der Bürgermeister zieht sein Mobiltelefon aus der Tasche. Wen ruft er an? Den Polizeipräsidenten? Seine Frau? Dann renne auch ich zu den Krankenwagen. Vielleicht will ich bloß weg von hier, wo die vielen Menschen und die vielen Gerüchte sind. Ich komme zu spät. Die Verletzten wurden in Windeseile verladen, man redet von einigen Toten, man zählt neun Rettungswagen. Die Polizei schirmt, so gut es geht, ab. Ich trabe wieder zurück Richtung Bartensteingasse. Ich habe überlebt. Bisher. Was, wenn die Bombe wirklich erst kommt? Wenn sie in irgendeinem dieser parkenden Autos versteckt ist?
Ein Kamerateam interviewt den Moderator und TV-Manager. Ich schaue genauer hin und grinse. Es ist ein Team seines eigenen Senders. Ein anderes Kamerateam hat Weis vor dem Mikrofon. Ich will nicht hören, was er sagt. Sicher etwas über innere Ruhe und solchen Unsinn. Weis-Punkt-heiten. Idiotische Mode, Wörter durch Punkte zu zerhacken und zu glauben, dass daraus Bedeutsames entsteht. Bomben-Punkt-Leger. Panik-Punkt-Macher. Klug-Punkt-Schwätzer. Welcher Mensch mit halbwegs funktionierendem Instinkt bleibt cool, wenn gleich eine Bombe hochgehen kann? Man muss Weis allerdings zugestehen, dass er im Saal tatsächlich ruhig gewirkt hat. Zumindest war er nicht in offener Panik wie die meisten anderen. Wer war der Mann am Tisch hinter unserem? Ich schaue mich um, entdecke den Autor, der in der Hauptkategorie „Neuerscheinung des Jahres“ nominiert war und so angestrengt entspannt dreingesehen hat. Was fragt man einen, der gerade von einer Literaturgala geflohen ist?
„Glauben Sie, dass die Drohung mit den Literaturpreisen zu tun hat?“
„Sie meinen Rache, weil jemand keinen Preis bekommt? So wichtig ist der Preis nicht. Und noch weiß ja keiner, wer ihn bekommen hätte.“
„Trauen Sie einem Autor eine derartige Drohung zu?“
„Es gibt so gut wie nichts, was Menschen nicht zuzutrauen wäre.“
„Kann es sein, dass man ganz informell doch schon gewusst hat, wer ausgezeichnet wird?“
„Sicher nicht, dann wären weniger Autoren da gewesen.“
„Sie meinen, wer leer ausgeht …“
„… muss ja nicht unbedingt zusehen, wie andere einen Preis bekommen.“ Der Autor blickt zum Rathaus. „Was wäre wohl, wenn es in die Luft flöge …“
„Wir würden um unser Leben rennen“, erwidere ich.
„Und zu viele würden in den nächsten Jahren darüber schreiben.“
Wir grinsen einander an, verhalten, um keinen schlechten Eindruck zu machen. Der Typ ist gar nicht so übel. Ich entdecke einen der Fotografen des „Magazin“, winke ihn her. Der Autor lässt sich ablichten, auch schon egal und jedenfalls gut für seine Medienpräsenz. Die beiden Krimiautorinnen stehen in einer Gruppe von Menschen, zwei rote Feuerbälle, Literaturbomben aus Fleisch. Die eine erklärt gerade, wie Antiterroreinsätze der Polizei funktionieren, sie habe das für ein Buch recherchiert. Ich schnappe mir die andere.
„Hat da die Realität den Kriminalroman überholt?“, frage ich.
Sie sieht mich an. „Das macht sie doch ständig.“
„Gehst du mit essen?“, fragt einer aus der Gruppe meine rote Krimibombe. Sie nickt. Schön langsam verläuft sich die Menge. Den meisten ist nichts passiert. Man hat viel zu erzählen, man kehrt zum Alltag zurück und kann bald kaum noch glauben, dass man gemeinsam mit Hunderten anderen in Panik war. Dass bei der gemeinsamen Flucht Menschen niedergetrampelt, verletzt, getötet wurden. Von der Masse. Von ihnen. Acht Kamerateams zähle ich inzwischen. Und neben den uniformierten Polizisten scheint es jetzt eine Reihe von Beamten in
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