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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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erschossen in der Damentoilette, rauchende perlmuttbesetzte Revolver neben sich? Der Moderator kündigt eine kurze Musikbrücke an. Auch das noch. Ich sehe die Verlegerin durch eine der Flügeltüren kommen. Beinahe gleichzeitig tritt die Frau in der weißen Jacke durch eine Tür auf der Schmalseite des Festsaales. Auch ihre Hose ist weiß und ihre Figur, ich muss es zugeben, tadellos. Abstand zwischen den beiden Frauen mindestens dreißig Meter. Der Moderator verlässt die Bühne und nimmt an einem runden Tisch am Bühnenrand Platz. Sein Nachbar klopft ihm anerkennend auf die Schulter. Er gehört zur Wien-Mafia, da kennt jeder jeden, sie verteilen Kontakte und Positionen wie Zuckerl, und keiner, der eine Karriere als Politiker, Beamter, Manager oder Künstler anstrebt, sollte sich gegen sie stellen. Alles ganz legal, natürlich. Jetzt setzt die Musik ein. Jazzstandards, interpretiert von einer finanziell verkraftbaren Formation. Es könnte schlimmer sein. Ich klappe die Augen zu, klappe sie wieder auf und nehme noch einen Schluck Wein. Mir scheint, als würde die Unruhe im Saal steigen. Ich sehe, dass an einem Tisch nahe einer Flügeltür alle aufstehen und rasch aus dem Saal gehen. Die Musik verdient wohl weniger Höflichkeit als der deutschösterreichische Privatfernsehmanagermoderator. Ein Mann eilt nach vorne, kein dezentes Schleichen im Halbdunkel, da ist einer mit einem Ziel und einem Auftrag unterwegs, kurz glaube ich an einen Skandal, an jemanden, der gleich die Bühne erstürmt und protestiert, etwas fordert, vielleicht gar eine literarisch-revolutionäre Aktion startet. Doch dann bremst er ab, beugt sich sichtlich aufgeregt zum Moderator, der schon auf seinen nächsten Auftritt wartet. Tuscheln. Langer Hals bei denen, die mit am Tisch sitzen. Der Moderator ist aufgestanden. Er nickt. Er klettert auf die Bühne, er winkt der Musik. Die setzt abrupter ab, als zu erwarten war. Stille. Jetzt hat der Privatfernsehmanager die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Zum ersten Mal an diesem Abend. Er räuspert sich.
    „Ich muss Sie bitten, den Saal und das Gebäude zu verlassen.“
    Alle starren ihn an, keiner steht auf.
    „Es hat … eine Drohung gegeben. In Zeiten wie diesen darf man nichts unbeachtet lassen, auch wenn es ein … Scherz sein dürfte. Es besteht kein Grund …“
    Die ersten Menschen sind aufgesprungen, zwei Sessel fallen um.
    „… kein Grund zur Panik, gehen Sie ruhig zu den Ausgängen und verlassen Sie …“
    Jetzt ist der ganze Saal in Bewegung. Ich stehe, suche nach der nächsten Türe. Alle Ausgänge scheinen schon jetzt verstopft zu sein. Wie sind die ganzen Menschen so schnell dorthin gekommen? Trampeln wie von einer aufgeschreckten Herde, die ein herannahendes Erdbeben spürt, keiner schreit, kaum einer spricht. Drohung. Was für eine Drohung? Bombe? Wo? Wann? Hier riecht es eigenartig. Ich versuche, flach zu atmen. Giftgas. Mira, behalte die Nerven. Das sind die Brenner für das Buffet. Blitze. Blitzlichter der Fotografen, die im Saal waren.
    „… verlassen Sie das Gebäude und halten Sie sich an die Anweisungen der Sicherheitskräfte. Ihnen kann nichts …“
    Ein Mann stöhnt auf. Erste Schreie, plötzlich scheinen alle zu schreien, raus hier, oder gibt es kein Entkommen mehr? Ich dränge zu einer der Flügeltüren, bekomme einen Stoß, sehe weiter vorne Menschen fallen, niedergetrampelt vom Kulturbetrieb in Panik.
    „… nichts passieren!“ Dann springt auch unser Moderator von der Bühne und rennt.
    Ich sehe mich um. Weis steht noch beim Tisch, den Kopf hoch erhoben, wie fasziniert vom Chaos, er lächelt nicht mehr. Der schlanke weißhaarige Mann vom Nebentisch macht einige Schritte nach vorne, stoppt, geht wieder zum Tisch, an dem längst keiner mehr ist. Weis starrt ihn an. Der schlanke Mann starrt zurück. Ein Kamerateam filmt, während es mit den anderen nach draußen drängt. Die Verlegerin Moylen ist schon nahe bei einem der Ausgänge. Bevor die Menschenmenge sie frisst, ruft sie Weis etwas zu, die Arme in seine Richtung gestreckt, Szenen wie auf der Titanic vor dem Untergang.
    Der Bürgermeister ist auf die Bühne geklettert. „Ich bitte Sie, ruhig zu bleiben. Drängen Sie nicht. Die Ausgänge sind groß genug. Bleiben Sie bitte eine Sekunde stehen und gehen Sie erst dann weiter.“
    Bilde ich mir das Zittern in seiner Stimme bloß ein? Tatsächlich scheint er zu erreichen, dass die meisten kurz innehalten. Dann ein Schrei bei einem der seitlichen Ausgänge und schon

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