Leben macht Sinn
eigenen Fragen inspirieren. Lesen und nachdenken helfen weiter und sind insofern selbst ein Beitrag zum Sinn. Damit komme ich zum Kern. Die Sinnfrage zu stellen ist keine esoterische Spielerei, sondern eine Lebensfrage: Wie möchte ich leben, dass ich am Ende sagen kann: es war ein sinn-volles Leben? Und das können nur Sie selbst beurteilen.
Was uns fehlt
Oft schleicht sich gerade auf dem Höhepunkt des Lebens plötzlich die Melancholie durch das Fenster ein. Viele kennen sie, diese alte Dame in Schwarz, die plötzlich im Raum ist und alles in Frage stellt. Zu spät, um ihr die Türe zuzuschlagen. Dann erscheint plötzlich all das, was bislang für sinnvoll und wichtig gehalten wurde, sinnlos, fragwürdig und zweifelhaft. Erinnerungen werden wach, an all das, was entschwunden, gescheitert oder entrissen worden ist. Trauer über das, was man nicht gelebt hat. Die Pläne, die man geschmiedet hat, deren Sinn man nicht mehr versteht, die Umwege und Irrwege, die in Sackgassen mündeten, die Freundschaften, die sich im Sande verloren haben, die abservierten Liebschaften, die abgelehnten Chancen. Alles erscheint wie Spiegelungen auf dem Wasser, wenn der Himmel sich zuzieht. Es ist die Zeit der Dämmerung, wenn sich die Schatten des Lebensweges in die Länge ziehen, wo Menschen zweifeln und fragen: Wozu das alles? Wofür ist das gut? Wie geht es weiter?
Selbst die Erfolgreichen, die tapfer an sich selbst und ihre Leistungen glauben, kennen solche Momente – diese kleinen aber unheilvollen Risse und Löcher, die sichplötzlich auftun inmitten des Hochsommertages, wenn die Sonne ihren Zenit erreicht und das Schweigen im Hause wie eine Bombe tickt, oder im Herbst, wenn die Sonne nicht mehr wärmt, die Winde durch die Straßen fegen und das Herz rastlos und unruhig schlägt. Und plötzlich die Frage im Raum steht: Und das soll alles gewesen sein?
Andere sind einsam und warten sehnsüchtig darauf, dass der Anrufbeantworter endlich blinkt. Vielleicht haben sie eine Katze zum Streicheln oder eine Zeitung, in der sie stundenlang Werbeangebote oder Schnäppchen aus der großen, emsigen Welt studieren. »Ich fühle mich wie ein gebrochener Baum in einem leeren Wald. Allein in der großen Wohnung. Ich bin weder Geliebte noch Freundin, noch Ehefrau, noch Schwester, nicht mal mehr Tochter. Wenn doch jemand vorbeikäme …« So die Beschreibung einer Frau, die das Gefühl hatte, ihre Konturen zu verlieren, wenn nicht endlich jemand kommt, der sie aufrichtet oder wenigstens mit ihr spricht.
Andere merken, dass das Leben, das sie führen, nicht mehr zu ihnen passt. Sie haben das Gefühl: »Ich lebe nicht, ich werde gelebt.« Manche von ihnen steigen einfach aus, lassen ihre Sicherheit und ihre Karriere sausen, weil sich in ihnen so viel an ungelebten Wünschen und Sehnsüchten angestaut hat, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Es kommt zum Ausbruch, zum »Dammbruch« wie ein Manager sagte. Oder zur verzweifelten Explosion, weil sich zu viel Sinnloses angehäuft hat und niemand da war, der die Anzeichen hätte lesen und abfangen können.
Bei anderen ist es der Blick in den Spiegel, der die Seele kränkt. Die Welt der Chancen stehe nur noch den Jüngeren zu, empfindet die 60-jährige Geschäftsfrau: »Meistens werde ich einfach übersehen. Ich kann michschon gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal geflirtet habe.« Kleider, Kosmetik, Kochen, Kuren – ein Leben, in das sie irgendwie hineingeraten war, das sie früher in Euphorie versetzte, wärmt nicht mehr. Es hinterlässt nur noch einen bitteren Geschmack, weil sie auf nichts anderes gesetzt hat.
Und dann gibt es dieses schale Gefühl in langjährigen Ehen. Der Partner ist eigentlich ganz in Ordnung, man hatte auch viele schöne Jahre. Endlich ist das Haus abbezahlt, und man könnte sogar mehrmals pro Jahr in den Urlaub fahren. Aber statt immer mehr vom Gleichen hätte man doch lieber etwas mehr von dem, was Erfüllung oder Gefühle schenken würde und das Leben lebenswert macht … mehr Sinn.
Wahrscheinlich gibt es kaum jemanden, der nicht gelegentlich fragt, was das alles soll. Manchmal reicht schon eine endlos weite Landschaft von sattem Grün – und man ertappt sich bei der Frage, was dieser tägliche Wahnsinn, dem man in seinem Büro ausgesetzt ist, eigentlich soll. Auch wenn der Gott der Kindheit längst keine Hilfe mehr ist, so haben doch viele die Hoffnung, dass es vielleicht doch etwas gäbe, das »so ähnlich wie Gott« einem irgendwie Halt und
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