Leben, um davon zu erzählen
immer deprimierenderen politischen Neuigkeiten. Die kolumbianische Lyrik war im Licht des einsamen Sterns José Asunción Silva aus dem 19. Jahrhundert aufgetaucht, eines sublimen Romantikers, der mit einunddreißig Jahren die Pistole in den Kreis setzte, den sein Arzt ihm über dem Herzen mit Jod auf die Brust gepinselt hatte. Ich wurde nicht rechtzeitig geboren, um Rafael Pombo oder den großen Lyriker Eduardo Castillo kennen gelernt zu haben; Letzteren haben mir seine Freunde als Gespenst beschrieben, das bei Einbruch der Dunkelheit mit einer vom Morphium grünlichen Haut und dem Profil eines Hühnergeiers in einem weiten Cape seinem Grab entwich: die Verkörperung eines poète maudit. Eines Nachmittags fuhr ich mit der Straßenbahn an einem Herrenhaus in der Carrera Séptima vorbei und sah am Portal die beeindruckendste Erscheinung meines Lebens, einen Mann in makellosem Anzug mit einem englischen Hut, schwarzen Gläsern für seine lichtlosen Augen und einem Savannenponcho. Es war der Dichter Alberto Angel Montoya, ein etwas bombastischer Romantiker, der einige der guten Gedichte seiner Zeit geschrieben hatte. Für meine Generation waren das schon Geister aus der Vergangenheit, mit Ausnahme des Meisters León de Greiff, dem ich jahrelang im Café El Molino auflauerte.
Keiner von ihnen kam aber auch nur annähernd an den Ruhm von Guillermo Valencia heran, einem Aristokraten aus Popayän, der sich noch vor seinem dreißigsten Lebensjahr als Papst der Generation Centenario durchgesetzt hatte, die so genannt wurde, weil sie 1910 zeitgleich mit der Hundertjahresfeier der nationalen Unabhängigkeit aufgetreten war. Seine Zeitgenossen Eduardo Castillo und Porfirio Barba Jacob, zwei große, von der Romantik inspirierte Dichter, wurden in einem vom rhetorischen Marmor Valencias geblendeten Land nicht angemessen von der Kritik gewürdigt. Valencias mythischer Schatten stand noch drei weiteren Generationen im Weg. Zu der ihm unmittelbar folgenden, die sich 1925 mit dem Namen und dem Schwung der Neuen als Los Nuevos formierte, gehörten so großartige Lyriker wie Rafael Maya und wieder einmal León de Greiff, die, solange Valencia auf seinem Thron saß, nicht in ihrer wahren Bedeutung erkannt wurden. Die ganze Zeit über genoss er einen einzigartigen Ruhm, der ihn bis an die Schwelle der Präsidentschaft der Republik brachte.
Die Einzigen, die es in einem halben Jahrhundert wagten, ihn herauszufordern, waren die Dichter der Gruppe Piedra y Cielo mit ihren jugendlichen Bändchen: Eduardo Carranza, Arturo Camacho Ramírez, Aurelio Arturo und Jorge Rojas selbst, der die Veröffentlichung der Gedichte finanzierte. Sie alle waren weder im Formalen noch in der Inspiration gleich geartet, zusammen erschütterten sie jedoch die archäologischen Ruinen der Parnassiens und erweckten eine neue Poesie des Herzens zum Leben, mit vielfachen Anklängen an Juan Ramón Jiménez, Rubén Darío, García Lorca, Pablo Neruda und Vicente Huidobro. Die öffentliche Anerkennung kam nicht sofort, und ihnen war wohl selbst nicht bewusst, dass sie als himmlische Boten angesehen wurden, die das Haus der Poesie ausmisteten. Baldomero Sanín Cano, der angesehenste Essayist und Kritiker jener Jahre, beeilte sich damals jedoch, mit einem entschiedenen Essay jede Bewegung gegen Valencia im Keim zu ersticken. Für seine maßvollen Urteile bekannt, vergaß er nun alle Zurückhaltung. Apodiktisch erklärte er unter anderem, dass Valencia die klassische Kunst beherrsche, die Seele ferner, vergangener Zeiten zu ergründen, während er über zeitgenössischen Texten grübele, um mit Analogien die ganze Seele des Menschen in Staunen zu versetzen. Einmal mehr verlieh der Kritiker Valencia die Weihe, ein Dichter ohne Zeit und ohne Grenzen zu sein, und stellte ihn in eine Reihe mit jenen, die »wie Lukrez, Dante und Goethe den Leib nährten, um die Seele zu retten«. Manch einer muss sich gedacht haben, dass Valencia bei solchen Freunden keine Feinde benötigte.
Eduardo Carranza erwiderte Sanín Cano mit einem Artikel, dessen Titel schon alles sagte: »Ein Fall von Bardolatrie«. Das war der erste wirksame Vorstoß, Valencia in seine Grenzen zu verweisen und seinen Sockel auf das rechte Maß zurechtzustutzen. Carranza warf ihm vor, in Kolumbien nicht eine Flamme des Geistes entzündet, sondern ein orthopädisches Sprachkorsett eingeführt zu haben, und er beschrieb Valencias Verse als die eines manierierten, kühlen und geschickten Künstlers, eines gewissenhaften
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