Leben, um davon zu erzählen
mir die Münze hätte geben können. Auch in der Pension traf ich zu dieser toten Stunde des Sonnabends keinen außer der Wirtin an, und das war ebenso gut wie keiner, weil ich ihr siebenhundertzwanzig Mal fünf Centavos für zwei Monate Unterkunft und Versorgung schuldete. Zu allem entschlossen ging ich wieder auf die Straße, und da begegnete mir ein Sendbote der göttlichen Vorsehung, er stieg mit dem Espectador in der Hand aus einem Taxi, und ich bat ihn geradeheraus, mir die Zeitung zu schenken.
So konnte ich meine erste Erzählung in Bleisatz lesen, illustriert von Hernán Merino, dem offiziellen Zeichner der Zeitung. Ich las sie in meinem Zimmer versteckt, mit rasendem Herzen und in einem Atemzug. In jeder Zeile entdeckte ich die zerstörerische Kraft der gedruckten Buchstaben, da das, was ich mit so viel Liebe und Schmerz als demütige Parodie auf das Werk eines Universalgenies zusammengebaut hatte, sich mir als wirrer und brüchiger Monolog offenbarte, der nur notdürftig von drei oder vier Trost bringenden Sätzen zusammengehalten wurde. Es mussten beinahe zwanzig Jahre vergehen, bis ich wagte, die Geschichte ein zweites Mal zu lesen, und mein Urteil - kaum durch Mitgefühl gemildert - fiel noch strenger aus.
Das Schwierigste war, mit dem Trupp strahlender Freunde zurechtzukommen, die mein Zimmer mit Exemplaren der Zeitung stürmten und eine Erzählung, die sie sicherlich nicht verstanden hatten, über alle Maßen lobten. Unter meinen Kommilitonen mochten einige die Geschichte, andere verstanden sie nicht recht, wieder andere kamen wohl mit Grund nicht über die vierte Zeile hinaus, doch Gonzalo Mallarino, dessen literarisches Urteil ich nicht ohne weiteres anzweifeln konnte, billigte sie ohne Abstriche.
Große Angst hatte ich vor dem Verdikt von Jorge Álvaro Espinosa, dessen messerscharfe Kritik auch außerhalb unseres Kreises gefürchtet war. Ich hatte widersprüchliche Gefühle: Einerseits wollte ich ihn sofort sehen, um ein für alle Mal die Ungewissheit los zu sein, zugleich aber schreckte mich der Gedanke, ihm zu begegnen. Er war bis zum Dienstag verschwunden, was bei einem unersättlichen Leser nicht weiter seltsam war, und als er dann wieder im Molino auftauchte, sprach er zunächst nicht über die Erzählung, sondern stattdessen über meine Kühnheit.
»Ich nehme an, du weißt, in was für einen Schlamassel du da geraten bist«, sagte er und fixierte mich mit den grünen Augen einer Königskobra. »Jetzt stehst du in der Vitrine der anerkannten Autoren und musst viel tun, um das auch zu verdienen.«
Ich war versteinert angesichts des einzigen Urteils, das mich ebenso beeindrucken konnte wie das von Ulises. Bevor Espinosa zum Ende kam, beschloss ich, ihm zuvorzukommen, und sagte, was ich für die Wahrheit hielt und noch immer halte:
»Diese Geschichte ist Scheiße.«
Er erwiderte unbeirrt und gelassen, dazu könne er noch nichts sagen, weil er nur zum Querlesen Zeit gehabt hätte. Erklärte mir dann aber, selbst wenn die Erzählung so schlecht wäre, wie ich sagte, könne sie doch nicht so übel sein, um diese einzigartige Gelegenheit, die mir das Leben böte, zu verschenken.
»Wie auch immer, diese Geschichte gehört bereits der Vergangenheit an«, schloss er. »Wichtig ist jetzt die nächste.«
Ich war verwirrt und suchte unsinnigerweise nach Gegenargumenten, bis ich mich davon überzeugt hatte, dass ich keinen intelligenteren Rat als den seinen hören würde. Er verbreitete sich über seine fixe Idee, dass man erst die Geschichte und dann den Stil entwickeln müsse, dass jedoch das eine auf das andere in gegenseitiger Dienstbarkeit angewiesen sei, genau das sei der Zauberstab der Klassiker. Er unterhielt mich eine Zeit lang mit seiner oft wiederholten Ansicht, dass es mir an einer gründlichen und unvoreingenommenen Lektüre der Griechen mangele, und zwar nicht nur von Homer, dem Einzigen, den ich als Pflichtlektüre in der Oberschule gelesen hatte. Ich versprach ihm, es nachzuholen, und wollte noch andere Namen hören, er wechselte jedoch das Thema, fing mit den Falschmünzern von Andre Gide an, ein Buch, das er an jenem Wochenende gelesen hatte. Ich habe mich nie getraut, ihm zu sagen, dass unser Gespräch vielleicht mein Leben zurechtgerückt hatte. Ich blieb die Nacht über wach und machte mir Notizen für die nächste Erzählung, die ohne die Mäander der ersten auskommen sollte.
Ich hatte den Verdacht, dass diejenigen, die mit mir darüber sprachen, nicht so sehr von der
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