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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Ziseleurs. Seine Schlussfolgerung war eine Frage an sich selbst, die in ihrer Essenz eines seiner guten Gedichte hätte sein können: »Wenn die Poesie nicht mein Blut beschleunigt, nicht plötzliche Fenster auf Geheimnisvolles öffnet, mir nicht hilft, die Welt zu erkunden, und so diesem trostlosen Herzen in der Einsamkeit und in der Liebe beisteht, im Festtaumel und in der Kälte, wozu dann Poesie?« Und er schloss: »Für mich - was bin ich für ein Ketzer! - ist Valencia kaum ein guter Dichter.« Die Veröffentlichung von »Ein Fall von Bardolatrie« in der Beilage »Lecturas Dominicales« der Zeitung El Tiempo, die damals eine große Verbreitung hatte, löste geradezu eine gesellschaftliche Erschütterung aus. Darüber hinaus führte sie erfreulicherweise dazu, dass die Dichtung in Kolumbien von ihren Ursprüngen an gründlich untersucht wurde, was mit solcher Ernsthaftigkeit wohl nicht geschehen war, seitdem Juan de Castellanos die hundertfünfzigtausend elfsilbigen Verse seiner Elegien über berühmte Männer Westindiens geschrieben hatte.
    Von da an lebte die Poesie unter freiem Himmel. Nicht nur für die Gruppe Los Nuevos, die geradezu in Mode kam, sondern auch für andere, die später auftauchten und sich ihren Platz mit den Ellbogen erkämpften. Die Poesie wurde so populär, dass heute kaum verständlich ist, wie sehr man auf jede neue Ausgabe der von Carranza geleiteten »Lecturas Dominicales« hinlebte oder auf das Erscheinen von Sabado, für den unser ehemaliger Rektor am Liceo, Carlos Martín, verantwortlich war. Mit dem Ruhm seiner Gedichte setzte Carranza auch um sechs Uhr abends auf der Carrera Séptima in Bogotá eine Lebensform als Dichter durch, man wandelte gleichsam in einem zehn Straßen langen Schaufenster umher, ein Buch in der Hand und die Hand auf dem Herzen. Er war für seine Generation ein Vorbild, das in der nächsten Schule machte, für jeden auf seine Weise.
    In der Mitte des Jahres kam der Dichter Pablo Neruda nach Bogotá, der davon überzeugt war, dass die Poesie eine Waffe im politischen Kampf zu sein hatte. Bei den Dichterrunden in Bogotá erfuhr er, wie reaktionär Laureano Gómez war, und gewissermaßen zum Abschied schrieb er drei Strafsonette, die ihm förmlich aus der Feder flössen. Das erste Quartett gab den Ton für die folgenden an:
    Adiós, Laureano, nie vom Lorbeer gekrönter trauriger Tyrann, hergelaufner König.
    Adiós, Imperator der vierten Etage,
    Du vor der Zeit unaufhörlich Gelöhnter.
    Trotz seiner Sympathien für die Rechte und seiner persönlichen Freundschaft mit Laureano Gómez brachte Carranza die Sonette in seinen Literaturseiten groß heraus, mehr als journalistische Nachricht denn als politische Erklärung. Die Ablehnung war aber fast einhellig. Insbesondere weil die Veröffentlichung in der Zeitung eines Altliberalen wie dem Expräsidenten Eduardo Santos widersinnig schien, da Santos der rückständigen Gesinnung von Laureano Gómez ebenso fern stand wie der revolutionären Pablo Nerudas. Am lautesten reagierten diejenigen, die einem Dichter aus dem Ausland nicht eine solche Einmischung zubilligten. Schon allein die Tatsache, dass drei spitzfindige Sonette, die doch eher geistreich als poetisch waren, eine solche Aufregung auslösen konnten, war ein ermutigendes Zeichen für die Macht der Poesie in jenen Jahren. Jedenfalls wurde Pablo Neruda, als Laureano Gómez dann Präsident der Republik war, ebenso wie später unter der Regierung von General Rojas Pinilla, die Einreise in Kolumbien verweigert; dennoch war Neruda mehrmals in Cartagena und Buenaventura, wenn sein Schiff auf einer Fahrt von Chile nach Europa dort Station machte. Für seine kolumbianischen Freunde, denen er jeweils Bescheid gab, war jeder Aufenthalt auf der Hinoder Rückfahrt ein Grund, groß zu feiern.
    Als ich im Februar 1947 widerwillig in die juristische Fakultät eintrat, war meine Identifikation mit der Gruppe Piedra y Cielo ungebrochen. Obwohl ich die bedeutendsten Mitglieder bei Carlos Martín in Zipaquirá kennen gelernt hatte, wagte ich es nicht, mich darauf zu berufen, nicht einmal bei Carranza, der von allen am zugänglichsten war. Einmal bin ich ihm in der Buchhandlung Grancolombia begegnet, er stand unübersehbar ganz in meiner Nähe, und ich gab mich als ein Verehrer zu erkennen. Er ging höflich darauf ein, erkannte mich jedoch nicht. Meister León de Greiff hingegen erhob sich von seinem Tisch im Molino, um mich an meinem Tisch zu begrüßen, nachdem ihm jemand

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