Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
ohne jemanden zu fragen, wo und wie auch immer, sobald sie sich wiedersähen.
    Luisa Santiaga nahm dieses Versprechen so ernst, dass es ihr ungehörig erschien, ohne die Einwilligung des Verlobten im Städtchen Fonseca auf einen Ball zu gehen. Gabriel Eligio lag in seiner Hängematte und schwitzte vierzig Grad Fieber aus, als er das Signal für ein dringendes Telegramm träumte. Es war sein Kollege aus Fonseca. Um wirklich sicherzugehen, dass der Verlobte am anderen Ende die Tastatur betätigte, ließ sie nachfragen. Eher sprachlos als geschmeichelt übermittelte Gabriel Eligio einen Erkennungssatz: »Sagen Sie ihr, ich bin ihr Patensohn.« Meine Mutter erfasste die Parole und blieb bis sieben Uhr früh auf dem Ball, dann musste sie sich im Fluge umziehen, um nicht zu spät zur Messe zu kommen.
    In Barrancas stießen sie auf keinerlei feindselige Stimmung gegenüber der Familie. Im Gegenteil, unter den Angehörigen von
    Medardo Pacheco herrschte siebzehn Jahre nach dem Unglück die Bereitschaft zu christlichem Vergeben und Vergessen vor. Von der eigenen Verwandtschaft wurden sie so herzlich aufgenommen, dass nun Luisa Santiaga ihrerseits die Möglichkeit erwog, die Familie könnte in diesen ruhigen Winkel zurückkehren, der so gar nicht an die Hitze und den Staub, die blutigen Sonnabende und die enthaupteten Gespenster von Aracataca erinnerte. Sie ließ es Gabriel Eligio gegenüber durchblicken, Voraussetzung sei natürlich seine Versetzung nach Riohacha, und er war einverstanden. In jenen Tagen stellte sich dann jedoch heraus, dass das Gerücht von dem Umzug jeder Grundlage entbehrte und gerade Mina am wenigsten an einer Rückkehr interessiert war. So stand es in einem Antwortbrief an ihren Sohn Juan de Dios, der ihr voller Sorge angesichts der Aussicht geschrieben hatte, nach ßarrancas zurückzukehren, bevor der Tod von Medardo Pacheco sich zum zwanzigsten Mal jährte. Juan de Dios war so überzeugt von der Unerbittlichkeit des Rachegesetzes von Guajira, dass er nicht zuließ, dass sein Sohn Eduarde den medizinischen Sozialdienst in Barrancas ableistete.
    Entgegen jeder Befürchtung lösten sich dort innerhalb von drei Tagen alle Knoten. An eben dem Dienstag, an dem Luisa Santiaga Gabriel Eligio melden konnte, Mina denke nicht daran, nach Barrancas zu ziehen, bekam er den Bescheid, dass er das Telegrafenamt von Riohacha übernehmen könne, da der Inhaber plötzlich verstorben sei. Am Tag darauf war Mina auf der Suche nach einer Geflügelschere, leerte dabei die Schubfächer in der Speisekammer und öffnete ohne Not die englische Keksdose, in der die Tochter ihre Liebestelegramme versteckt hatte. Minas Zorn war so groß, dass sie nur eine ihrer berühmten Schmähungen hervorbrachte, die sie in ihren schlechten Stunden aus dem Stegreif erfand: »Gott vergibt alles, nur nicht den Ungehorsam.« Am Wochenende fuhren sie nach Riohacha, um am Sonntag den Schoner nach Santa Marta zu besteigen. Keine der beiden nahm die fürchterliche Nacht im Februarsturm richtig wahr: Die Mutter war zermalmt von der Niederlage, die Tochter ängstlich, aber glücklich.
    Auf dem Festland gewann Mina die Haltung zurück, die der Fund der Briefe ihr geraubt hatte. Am nächsten Morgen fuhr sie allein um sieben Uhr mit dem Bummelzug nach Aracataca weiter und ließ Luisa Santiaga unter der Obhut ihres Sohnes Juan de Dios in Santa Marta zurück, in der Gewissheit, sie vor den Teufeln der Liebe schützen zu können. Das Gegenteil war der Fall: Wann immer er konnte, fuhr Gabriel Eligio nun nach Santa Marta. Onkel Juanito, der die Unerbittlichkeit seiner Eltern in Liebesdingen selbst bei seiner Verlobung mit Dilia Caballero erlitten hatte, war entschlossen, bei der Liebe seiner Schwester für keinen Partei zu ergreifen, in der Stunde der Wahrheit jedoch sah er, der seine Schwester anbetete und seine Eltern verehrte, sich in der Zwickmühle, und er flüchtete sich in einen Kompromiss, der für seine sprichwörtliche Güte spricht: Er ließ zu, dass die Verlobten, sich außerhalb seines Hauses trafen, aber nie allein, und er wollte es auch nicht wissen. Seine Frau Dilia Caballero, die zwar verzeihen, aber nicht vergessen konnte, ersann für ihre Schwägerin die gleichen unfehlbaren Zufälle und meisterhaften Listen, mit denen sie selbst die Überwachung durch ihre Schwiegereltern durchkreuzt hatte. Gabriel und Luisa trafen sich zunächst bei Freunden, doch nach und nach trauten sie sich auch in die Öffentlichkeit, an Orte, wo nicht zu viele Menschen

Weitere Kostenlose Bücher