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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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waren. Am Ende wagten sie es sogar, sich durchs Fenster zu unterhalten, wenn Onkel Juanito nicht zu Hause war, sie stand im Salon, er auf der Straße, getreu der eingegangenen Verpflichtung, sich nicht im Haus zu sehen. Das hohe Fenster schien wie geschaffen für verbotene Liebschaften, es hatte ein durchgehendes andalu-sisches Gitter, war eingerahmt von Kletterpflanzen, und in der Hitze der Nacht fehlte nie ein Hauch von Jasmin. Dilia hatte alles vorausbedacht, hatte sogar ein paar Nachbarn eingeweiht, die mit Pfeifsignalen das Pärchen vor drohender Gefahr warnen sollten. Eines Nachts versagten jedoch alle Sicherheitsvorkehrungen, und Juan de Dios kapitulierte angesichts der Wahrheit. Dilia nützte die Gelegenheit, um die Verlobten beide in den Salon zu bitten, damit sie bei offenem Fenster ihre Liebe mit dem Rest der Welt teilen konnten. Meine Mutter hat nie den Stoßseufzer ihres Bruders vergessen: »Was für eine Erleichterung!«
    In jenen Tagen erhielt Gabriel Eligio die offizielle Ernennung für das Telegrafenamt von Riohacha. Beunruhigt über eine neuerliche Trennung wandte sich meine Mutter an Monseñor Pedro Espejo, den damaligen Vikar der Diözese, in der Hoffnung, er würde sie auch ohne die Erlaubnis der Eltern trauen. Dieser Priester hatte inzwischen ein so großes Ansehen, dass viele Pfarrkinder ihn für heilig hielten, und manche kamen nur deshalb zur Messe, weil sie sehen wollten, ob er sich im Augenblick der Wandlung nicht tatsächlich ein paar Zentimeter über den Boden erhob. Als Luisa Santiaga ihn um Hilfe bat, bewies er einmal mehr, dass Intelligenz ein Privileg der Heiligkeit ist. Er weigerte sich, in den inneren Bereich einer Familie einzudringen, die so eifersüchtig über ihre Intimsphäre wachte, und entschied sich für die Alternative, über die Diozesankurie heimliche Informationen über die Familie meines Vaters einzuholen. Der Gemeindepfarrer von Sincé ließ Argemira Garcías Freizügigkeiten außer Acht und antwortete mit einer wohlwollenden Formel: »Es handelt sich um eine anständige, aber nicht sehr fromme Familie.« Monseñor unterhielt sich sodann mit den Verlobten, mit jedem einzeln und mit beiden zusammen, und schrieb einen Brief an Nicolás und Tranquilina, in denen er ihnen voller Rührung seine Gewissheit kundtat, keine menschliche Macht könne diese leidenschaftliche Liebe besiegen. Meine Großeltern gaben sich Gottes Allmacht geschlagen, beschlossen, das schmerzliche Blatt zu wenden, und verliehen Juan de Dios alle Vollmachten, die Hochzeit in Santa Marta auszurichten. Sie selbst kamen nicht, schickten aber Francisca Simodosea als Trauzeugin.
    Die beiden heirateten am 11. Juni 1926 in der Kathedrale von Santa Marta mit vierzig Minuten Verspätung, weil die Braut das Datum vergessen hatte und man sie nach acht Uhr morgens wecken musste. In derselben Nacht noch gingen sie wieder einmal an Bord des Furcht erregenden Schoners, weil Gabriel Eligio in Riohacha sein Amt antreten musste, und verbrachten, seekrank und geschwächt, in Keuschheit ihre erste gemeinsame Nacht.
    Meine Mutter gedachte immer mit solcher Sehnsucht des Hauses, in dem sie ihre Flitterwochen verlebt hatte, dass ihre größeren Kinder es Zimmer für Zimmer hätten beschreiben können, so als hätten auch wir darin gewohnt, und bis heute gehört es zu meinen falschen Erinnerungen. Als ich dann das erste Mal wirklich auf die Halbinsel La Guajira kam, kurz vor meinem sechzigsten Geburtstag, war ich überrascht, weil das Telegrafenamt nichts mit meinen Erinnerungen zu tun hatte. Und das idyllische Riohacha, das ich seit meiner Kindheit im Herzen trug, mit seinen Salpeterstraßen, die zu einem morastigen Meer hinunterführen, war nicht mehr als ein von den Großeltern geborgtes Traumbild. Mehr noch: Auch jetzt, da ich Riohacha kenne, gelingt es mir nicht, mir die Stadt so vorzustellen, wie sie ist, sondern nur so, wie ich sie Stein für Stein aus meiner Phantasie erbaut hatte.
    Zwei Monate nach der Hochzeit erreichte Juan de Dios ein Telegramm meines Vaters mit der Nachricht, dass Luisa Santiaga schwanger sei. Die Neuigkeit erschütterte das Haus in Aracataca bis in die Grundfesten, denn Mina hatte sich noch nicht von ihrer Verbitterung erholt. Sie und auch der Oberst streckten jedoch die Waffen, damit die Frischvermählten zu ihnen zurückkehrten. Das war nicht leicht. Nach mehrmonatigem würdigen und begründeten Widerstand ließ sich Gabriel Eligio darauf ein, dass seine Frau das Kind in ihrem Elternhaus zur

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