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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Konservative und Liberale einander nicht mehr die Zähne zeigten. Vielleicht war der Konservativismus des Werbenden eher auf das familiäre Umfeld als auf eine doktrinäre Überzeugung zurückzuführen, bei seinen Kritikern wog er aber schwerer als die guten Eigenschaften des jungen Mannes, etwa seine immer wache Intelligenz und seine über jeden Zweifel erhabene Rechtschaffenheit.
    Papa war schwer durchschaubar und nicht leicht zufrieden zu stellen. Sein ganzes Leben lang war er sehr viel ärmer, als es den Anschein hatte, und die Armut war ihm stets ein verabscheuungswürdiger Feind, den er nie besiegen konnte, dem er sich aber auch nicht geschlagen gab. Mit eben dem Mut und der gleichen Würde überstand er damals in Aracataca die Anfeindung seiner Liebe zu Luisa Santiaga, in einem Hinterzimmer des Telegrafenamts, wo er immer eine Hängematte hatte, in der er allein schlafen konnte. Daneben stand aber auch noch ein Junggesellenbett mit gut geölten Federn, für das, was die Nacht ihm bescheren mochte. In einer bestimmten Lebensphase verlockten auch mich seine Angewohnheiten eines heimlichen Jägers, doch das Leben lehrte mich, dass dies die dürrste Form der Einsamkeit ist, und ich empfand großes Mitleid mit ihm.
    Bis kurz vor seinem Tod noch hörte ich ihn erzählen, dass er in jenen schweren Tagen einmal mit Freunden in das Haus des Obersts musste und alle außer ihm aufgefordert wurden, Platz zu nehmen. Die Familie hat das immer abgestritten und Überreste des Grolls für solche Äußerungen verantwortlich gemacht oder sie zumindest als falsche Erinnerungen eingestuft, doch meiner Großmutter ist in den wirren Abschweifungen ihrer fast hundert Jahre, die sie nicht zu erinnern, sondern wieder zu leben schien, einmal etwas herausgerutscht:
    »Da steht dieser arme Mann an der Tür zum Salon, und Nicolasito hat ihn nicht einmal aufgefordert, Platz zu nehmen«, sagte sie mit echtem Bedauern.
    Ich reagierte immer neugierig auf ihre erstaunlichen Enthüllungen und fragte sie, wer dieser Mann denn sei, worauf sie, ohne nachzudenken, antwortete:
    »García, der mit der Geige.«
    Bei so vielen Abstrusitäten tat mein Vater etwas, was seiner Wesensart überhaupt nicht entsprach, er kaufte sich einen Revolver, um für das gewappnet zu sein, was ihm mit einem Krieger im Ruhestand wie dem Oberst Márquez widerfahren könnte. Es war ein ehrwürdiger 38er Smith & Wessen, der wer weiß wie viele Vorbesitzer und wie viele Tote auf dem Buckel hatte. Gewiss ist einzig und allein, dass mein Vater nie damit geschossen hat, auch nicht vorsichtshalber oder aus Neugier. Wir, seine älteren Söhne, haben den Revolver viele Jahre später mit den fünf ursprünglichen Kugeln in einem Schrank mit unnützem Trödel gefunden, gleich neben der Geige für die Ständchen.
    Weder Gabriel Eligio noch Luisa Santiaga ließen sich von der Unerbittlichkeit der Familie einschüchtern. Am Anfang konnten sie sich noch heimlich bei Freunden treffen, als aber die Überwachung immer strenger wurde, ließ sich der Kontakt nur über Briefe aufrechterhalten, die sie sich auf einfallsreichen Wegen zukommen ließen. Sie sahen sich aus der Ferne, wenn man Luisa Samiaga nicht erlaubte, auf Feste zu gehen, zu denen auch er geladen war. Doch die Repressionen wurden schließlich so hart, dass niemand mehr wagte, den Zorn von Tranquilina Iguaran herauszufordern, und die Verliebten aus der Öffentlichkeit verschwanden. Als es keinen einzigen Weg mehr für die heimlichen Briefe gab, wurden sie wie Schiffbrüchige erfinderisch. Ihr gelang es, eine Glückwunschkarte in einem Napfkuchen zu verstecken, den jemand für Gabriel Eligios Geburtstag bestellt hatte, und er ließ keine Gelegenheit aus, ihr falsche, harmlose Telegramme zu schicken, in denen die richtige Botschaft verschlüsselt oder in Geheimtinte geschrieben war. Tante Franciscas Komplizenschaft wurde in diesem Zusammenhang so deutlich, dass auch striktes Leugnen ihr nichts nützte und ihre Autorität im Hause zum ersten Mal Schaden nahm; man erlaubte ihr nur noch, der Nichte beim Nähen unter den Mandelbäumen Gesellschaft zu leisten. Daraufhin schickte Gabriel Eligio von Doktor Barbozas Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite seine Liebesbotschaften in der Gebärdensprache der Taubstummen. Luisa Santiaga lernte diese so gut, dass sie, war die Tante unaufmerksam, innige Gespräche mit ihrem Verlobten führen konnte. Das war einer der vielen Tricks, die sich Adnana Berdugo ausgedacht hatte; sie war

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