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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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bis zum Ende der Reise, fast ein Jahr später, eine fiebrige Korrespondenz mit Gabriel Eligio zu führen. Es genügte, unterstützt von der enthusiastischen jugendlichen Verwandtschaft, im jeweiligen Dorf zur Telegrafenstation zu gehen, um die Botschaften zu empfangen und zu beantworten. Eine unschätzbar wichtige Rolle übernahm dabei die verschwiegene Chon, denn sie trug die Botschaften in ihren Kleidern versteckt, wobei Luisa Santiaga sich keine Sorgen um ihre intimen Geheimnisse zu machen brauchte, da Chon weder lesen noch schreiben konnte und sich eher hätte töten lassen, bevor sie ihre Herrin verriet.
    Fast sechzig Jahre später, als ich mich bemühte, diese Episoden in Die Liebe in den Zeiten der Cholera zu rekonstruieren, fragte ich meinen Vater, ob es in der Sprache der Telegrafisten einen Fachbegriff für das Verbinden eines Amtes mit dem anderen gäbe. Er musste nicht lange nachdenken: enclavijar, zuschalten. Der Begriff steht in den Wörterbüchern, allerdings nicht mit der Fachbedeutung, die ich brauchte, aber ich fand ihn perfekt für meine Zwecke, da die Verbindung unter den verschiedenen Stationen mittels eines Kontaktstöpsels auf der Schalttafel der telegrafischen Leitungen hergestellt wurde. Ich habe dann nie mehr mit meinem Vater darüber gesprochen. Kurz vor seinem Tod wurde er jedoch in einem Interview gefragt, ob er nicht einmal den Wunsch gehabt habe, einen Roman zu schreiben, und seine Antwort war: Ja, er habe aber davon Abstand genommen, als ich ihn über das Verb enclavijar ausfragte, weil ihm da klar geworden sei, dass ich genau den Roman schrieb, den er hätte schreiben wollen.
    Bei dieser Gelegenheit erinnerte er sich auch an einen mir unbekannten Umstand, der unser Schicksal in andere Bahnen hätte lenken können: Als meine Mutter sich nach sechsmonatiger Reise in San Juan del César aufhielt, bekam Gabriel Eligio den vertraulichen Hinweis, dass Mina den Auftrag habe, die endgültige Rückkehr der Familie nach Barrancas vorzubereiten, nachdem die durch den Tod von Medardo Pacheco geschlagenen Wunden wohl vernarbt waren. Das erschien ihm absurd, nun da die schlechten Zeiten hinter ihnen lagen und die absolute Herrschaft der Bananengesellschaft den Traum vom Gelobten Land näher zu rücken schien. Aber es wäre durchaus auch denkbar gewesen, dass die Márquez Iguarán in ihrem Starrsinn das eigene Glück opferten, nur um die Tochter aus den Krallen des Sperbers zu befreien. Woraufhin Gabriel Eligio sogleich beschloss, seine Versetzung ins Telegrafenamt von Riohacha zu beantragen, das etwa zwanzig Meilen von Barrancas entfernt liegt. Die Stelle war nicht frei, aber man versprach, seine Bewerbung zu berücksichtigen.
    Es gelang Luisa Santiaga nicht, die geheimen Absichten ihrer Mutter zu ergründen, sie wagte es aber auch nicht, diese Möglichkeit auszuschließen, da ihr aufgefallen war, dass die Mutter immer sehnsuchtsvoller, aber auch immer friedlicher wirkte, je näher sie Barrancas kamen. Chon, die das Vertrauen aller genoss, lieferte auch keinen Hinweis. Um ihrer Mutter die Wahrheit zu entlocken, sagte Luisa Santiaga, sie fände es wundervoll, auf Dauer in Barrancas zu wohnen. Die Mutter stutzte und zögerte einen Augenblick, entschloss sich aber nicht, etwas dazu zu sagen, und der Tochter blieb der Eindruck, einem Geheimnis auf der Spur zu sein. In ihrer Unruhe vertraute sie sich einer Zigeunerin auf der Straße an, aber deren Karten wussten nichts über eine Zukunft in Barrancas. Stattdessen verkündeten sie ihr, nichts stünde einem langen und glücklichen Leben mit einem fernen Mann entgegen, den sie kaum kenne, der sie aber bis zum Tode lieben würde. Die Beschreibung dieses Mannes ließ ihre Seele in den Körper zurückkehren, da sie vor allem in der Wesensart Gemeinsamkeiten mit ihrem Verlobten entdeckte. Zum Schluss sagte die Zigeunerin ihr ohne Zögern voraus, dass sie sechs Kinder mit ihm haben werde. »Ich bekam einen Todesschreck«, sagte meine Mutter, als sie mir zum ersten Mal davon erzählte, denn sie hätte sich damals nicht im Entferntesten vorstellen können, dass sie sogar noch fünf Kinder mehr bekommen würde. Die beiden fühlten sich durch die Vorhersage derart ermuntert, dass ihre telegrafische Korrespondenz nun nicht länger ein Konzert illusorischer Absichtserklärungen war; sie wurde methodisch, praktisch und intensiver als je zuvor. Sie legten Daten fest, entwickelten Vorgehensweisen und verpfändeten ihr Leben auf den gemeinsamen Entschluss zu heiraten,

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