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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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und während der Hausknecht sein Maulthier fertig machte, erleichterte er sein Gemüth durch folgenden Vers, den er an die Wand schrieb:
Ode.
Hart erklingt das Notenheer der Liebe,
    Bis den Schlüssel meine Julia faßt;
    Ihre Hand nur darf den Theil berühren,
    Dessen süße Triebe
    Unser ganzes Herz verführen,
    Hin uns reißen in sympath'scher Hast.

2.
O Julia!
    Diese Zeilen waren so natürlich – denn sie paßten gar nicht für den Fall, sagt Slawkenbergius, und es ist wirklich Schade, daß es nicht mehr waren; aber entweder war Herr Diego etwas langsam im Versmachen – oder der Hausknecht besonders flink im Satteln von Maulthieren, – die Sache ist nicht klar gestellt; gewiß ist nur, daß Diegos Maultier und Fernandez' Pferd vor der Thüre des Wirthshauses bereit standen, ehe Diego mit seinem zweiten Vers fertig war. So stiegen sie, ohne die Vollendung der Ode abzuwarten, auf, ritten hinaus, passirten den Rhein, ritten durch das Elsaß, richteten ihren Marsch auf Lyon, und ehe die Straßburger, und die Aebtissin von Quedlinburg ihren Auszug angetreten, hatten Fernandez, Diego und seine Julia bereits die Pyrenäen überschritten und waren glücklich in Valladolid angelangt.
    Wir brauchen den geographiekundigen Leser nicht erst zu belehren, daß, während sich Diego bereits in Spanien befand, es nicht möglich war, dem artigen Fremdling auf der Straße nach Frankfurt zu begegnen. Es mag genügen, wenn ich sage, daß, da von allen unruhigen Begierden die Neugierde die gewaltigste ist, – die Straßburger die ganze Macht derselben empfanden; und daß sie von der stürmischen Wuth dieser Leidenschaft drei Tage und Nächte auf der Frankfurter Straße hin- und hergeworfen wurden, ehe sie sich entschließen konnten wieder umzukehren; – wo sie ach! ein Ereigniß erwartete, welches das traurigste ist, das ein freies Volk treffen kann.
    Da diese Umwälzung der Dinge in Straßburg vielfach besprochen aber wenig verstanden worden ist, so will ich, sagt Slawkenbergius, der Welt eine Erklärung derselben geben, und damit meine Geschichte schließen.
    Jedermann kennt das große System einer Universalmonarchie, welches auf Befehl des Herrn Colbert verfaßt und im Jahr 1664 im Manuscript Ludwig dem Vierzehnten vorgelegt wurde.
    Eine der vielen Consequenzen dieses Systems war bekanntlich die Besitznahme von Straßburg, um jeder Zeit das Einrücken in Schwaben zu erleichtern und die Ruhe in Deutschland zu stören; – und in Folge dieses Plans fiel Straßburg unglückseligerweise endlich in die Hände der Franzosen.
    Es ist nur Wenigen gegeben, die wahren Beweggründe dieser und ähnlicher Umwälzungen aufzuspüren; – die Masse sieht darüber hinaus – die Staatsmänner schauen darunter hinweg, – die Wahrheit liegt gewöhnlich in der Mitte.
    Wie verhängnißvoll kann der Volksstolz für eine freie Stadt werden! sagt ein Geschichtsschreiber. – Die Straßburger hielten es für eine Schwächung ihrer Freiheit, wenn sie eine kaiserliche Garnison aufnähmen; – so bekamen sie eine französische.
    Das Schicksal der Straßburger, sagt ein Anderer, mag eine Warnung für jedes freie Volk sein, mit seinen Gelde sparsam umzugehen. – Sie verbrauchten ihre Einkünfte zum Voraus, – mußten sich mit Steuern belasten und dadurch ihre Kraft aufzehren, und wurden schließlich so schwach, daß sie nicht mehr stark genug waren, um ihre Thore zu schließen; und so stießen die Franzosen sie auf.
    Ach nein! ach nein! ruft Slawkenbergius, es waren nicht die Franzosen, ihre eigene Neugierde stieß sie auf. – Als die Franzosen, die immer auf der Lauer standen, freilich sahen, daß sämmtliche Straßburger, Männer, Weiber und Kinder auszogen, um der Nase des Fremdlings entgegenzugehen, – brauchten sie nur ihrer eigenen nachzugehen und einzurücken.
    Handel und Gewerbe sind seitdem dort immer mehr zerfallen und herabgekommen, – aber nicht aus den von Handelsgrößen bezeichneten Gründen; sondern einzig deshalb, weil den Straßburgern die Nasen beständig so im Kopf herumgingen, daß sie ihren Geschäften nicht mehr recht nachkamen.
    Ach, ach! ruft Slawkenbergius noch einmal aus; – es ist nicht die erste – und ich fürchte sehr auch nicht die letzte Festung, die durch Nasen gewonnen – oder verloren wurde!
    Ende der Erzählung des Slawkenbergius.

87. Kapitel.
    Bei all' dieser Nasengelehrsamkeit, die beständig meinem Vater durch den Kopf ging – bei so vielen Familienvorurtheilen, – und zehn Dekaden solcher Erzählungen,

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