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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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das Richtige sei; – las an dem einen Tage Bücher über Landwirtschaft, am anderen über Reisen, – legte jede Leidenschaft bei Seite, – betrachtete die beiderseitigen Beweise in jedem Licht, in jeder Zusammenstellung, – berieth sich täglich mit meinem Onkel Toby darüber, – raisonnirte mit Yorick, besprach die Frage des Ochsenmoors mit Obadiah; – gleichwol ergab sich in all der Zeit nichts, was so entschieden zu Gunsten des Einen sprach, was nicht ebenso auf das Andere anwendbar gewesen wäre, oder durch eine gleichgewichtige Betrachtung so im Gleichgewicht gehalten wurde, daß keine beider Schalen sank.
    Denn wenn das Ochsenmoor auch mit gehöriger Nachhilfe und in der Hand des rechten Mannes unzweifelhaft bald eine andere Rolle in der Welt gespielt haben würde, als es bis jetzt that und in seiner gegenwärtigen Verfassung thun konnte, – so paßte dies doch Alles auch ganz auf meinen Bruder Bobby, – mochte Obadiah sagen, was er wollte.
    In der reinen Gewinnfrage erschien der Kampf allerdings beim ersten Anblick nicht so unentschieden; denn wenn mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und die Ausgaben berechnete, welche das Abrasiren, Abbrennen und Einzäunen des Ochsenmoors kosteten, und dann den sicheren Nutzen in Rechnung nahm, der sich daraus ergeben mußte, – so stellte sich letzterer so wundervoll heraus, daß man hätte darauf schwören mögen, das Ochsenmoor werde Sieger bleiben; denn es war ja klar, daß er schon im ersten Jahre 100 Lasten Rübsamen, die Last zu 20 Pfund daraus erlösen würde, – im nächsten Jahre aber würde er eine treffliche Weizenernte bekommen; im dritten Jahre gab es gering gerechnet 100, – wahrscheinlich aber 150, – wo nicht 200 Malter Erbsen und Bohnen und endlos viel Kartoffeln. – Wenn er aber dann bedachte, daß er diese ganze Zeit über meinen Bruder eigentlich nur aufziehen würde wie ein Schwein, um jene zu fressen, – so schlug dieser Gedanke wieder Alles nieder, so daß sich der alte Herr in einem so unschlüssigen Zustande befand, daß er meinem Onkel Toby oft erklärte, er wisse so wenig wie sein Absatz, was er thun solle.
    Nur wer es selbst empfunden hat, weiß was für ein qualvolles Ding es ist, wenn zwei Pläne von gleicher Kraft an dem Herzen eines Menschen reißen und es hartnäckig nach ganz verschiedener Richtung zu ziehen suchen; denn abgesehen von dem Schaden, der dadurch bei einiger Consequenz unfehlbar in dem feineren Nervensystem angerichtet wird, mittelst dessen die animalischen Geister und dünneren Säfte vom Herzen nach dem Kopfe u. s. w. geleitet werden, – wirkt eine solche nachtheilige Friction zugleich in hohem Grade auf die derberen und festeren Theile, verbraucht das Fett und mindert die Kraft eines Menschen mit diesem beständigen Vorwärts- und wieder Rückwärtsbewegen.
    Mein Vater wäre diesem Uebel gewiß ebenso sicher erlegen als dies bei dem Mißgeschick mit meinem Taufnamen der Fall war, wäre er nicht durch ein neues Unglück davon befreit worden: – mein Bruder Bobby starb.
    Was ist das Menschenleben? Ist es nicht ein beständiger Wechsel von Einem zum Andern? – von einer Sorge zur andern? – vom Zuknöpfen einer Unheilsquelle zum Aufknöpfen einer anderen?

118. Kapitel.
    Von diesem Augenblicke an bin ich als muthmaßlicher Erbe der Familie Shandy anzusehen; und von diesem Zeitpunkt an datirt sich auch eigentlich die Geschichte meines Lebens und meiner Meinungen. Trotz all meiner Eile und Ueberstürzung habe ich doch nur erst den Grund geebnet, um das Gebäude darauf zu errichten; – ein Gebäude, wie allerdings seit Adam keines entworfen und aufgeführt wurde. In weniger als fünf Minuten werde ich meine Feder ins Feuer werfen und das Bischen dicke Tinte, welches noch in meinem Tintenfaß sitzt, ebenfalls; – ich habe in dieser Zeit nur noch zehnerlei Dinge zu thun – etwas zu benennen, – etwas zu beklagen, – etwas zu hoffen, – etwas zu versprechen, – etwas zu drohen, – etwas anzunehmen, – etwas zu erklären, – etwas zu verheimlichen, – etwas zu wählen, – etwas zu erbitten. – Ich nenne daher dieses Kapitel das der »Etwas«, – mein nächstes, wenn ich es erlebe, soll das Bartkapitel werden, damit doch einiger Zusammenhang in die Sache kommt.
    Was ich zu beklagen habe, ist, daß die Dinge mich in solchen Massen überfallen haben, daß ich bisher noch nicht bis zu demjenigen Theil meines Werkes gelangen konnte, nach dem ich stets mit so ernstem Verlangen ausgeschaut habe;

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