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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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anzuziehen, nachzulassen – seinen Barbier wieder fortzuschicken, ohne sich rasiren zu lassen – und dem Wundarzt kaum soviel Zeit zu gönnen, um seine Wunde zu verbinden, wobei er sich so wenig um dieselbe bekümmerte, daß er Jenen unter sieben Malen kaum ein Mal fragte, wie er sie finde; als er plötzlich – ja der Wechsel kam wie ein Blitzstrahl – ungestüm nach seiner Heilung zu seufzen begann – sich gegen meinen Vater beklagte, mit dem Wundarzt ungeduldig wurde – und eines Morgens, als er diesen die Treppe heraufkommen hörte, seine Bücher zuschlug und seine Instrumente bei Seite warf, um sich gegen Jenen wegen des langen Hinausziehens der Heilung zu vereifern, die, wie er ihm bemerkte, in dieser langen Zeit gewiß hätte beendigt sein können. – Er sprach sich des Breiten über das Ungemach aus, das er Alles durchgemacht, und die traurige nun vier Jahre dauernde Einsperrung; und setzte hinzu, wenn er sich nicht der freundlichen Blicke und Aufmunterungen des besten der Brüder zu erfreuen gehabt, wäre er seinen Leiden längst erlegen. – Mein Vater war zugegen. – Die Beredsamkeit meines Onkels Toby rührte ihn zu Thränen; sie kam so ganz unerwartet. – Mein Onkel Toby war von Natur nicht beredt; – um so größer war die Wirkung. – Der Wundarzt war bestürzt; – nicht daß es an Gründen für einen solchen Ausdruck der Ungeduld, ja für einen noch stärkeren gefehlt hätte – aber es kam auch ihm so unerwartet. In den vier Jahren, daß er meinen Onkel Toby besuchte, hatte er in dem Benehmen desselben nie etwas Aehnliches wahrgenommen; nie hatte er ein ärgerliches oder unzufriedenes Wort fallen lassen – er war ganz Geduld – ganz Ergebung gewesen.
    Wir verlieren oft das Recht uns zu beklagen, weil wir keinen Gebrauch davon machen – oft aber verdreifachen wir dadurch die Kraft der Klage; – der Wundarzt war verblüfft; aber noch weit mehr, als mein Onkel Toby weiter ging und mit Energie darauf bestand, daß jetzt die Wunde sofort geheilt werde – oder er schicke zu Monsieur Ronjat, dem Leibchirurgen des Königs, damit der es statt seiner thue.
    Der Wunsch nach Leben und Gesundheit ist dem Menschen von Natur eingepflanzt; – die Sehnsucht nach Freiheit und Ungebundenheit ist jenem nahe verschwistert, diese Empfindungen hatte mein Onkel Toby mit den übrigen Menschen gemein; – und eine jede derselben genügte, um seinen ernstlichen Wunsch zu erklären, endlich einmal gesund zu werden und wieder hinaus zu können; – ich habe Ihnen jedoch bereits gesagt, daß in unserer Familie nichts den gewöhnlichen Weg ging; – und aus der Zeit und Art, wie sich dieser heftige Wunsch kund gab, wird der scharfsinnige Leser bereits abnehmen, daß eine besondere Ursache oder Grille im Kopfe meines Onkels Toby daran Schuld gewesen sein müsse. – Und so war es auch; und das nächste Kapitel soll der Auseinandersetzung dieser Ursache und Grille gewidmet sein. Wann dies geschehen ist, dann dürfte es allerdings Zeit sein zu dem Kamin zurückzukehren, wo wir meinen Onkel Toby in der Mitte seines Satzes gelassen haben.

30. Kapitel.
    Wenn sich ein Mann der Herrschaft einer Leidenschaft hingibt – oder mit andern Worten, wenn sein Steckenpferd reitstättisch wird – dann gute Nacht kalte Vernunft und ordentliche Ueberlegung.
    Die Wunde meines Onkels war nahezu heil; und sobald der Wundarzt sich von seiner Ueberraschung erholt hatte und zum Wort kommen konnte – sagte er ihm, sie beginne zu vernarben, und wenn keine neue Abblätterung eintrete, wofür keinerlei Anzeichen vorläge, werde sie in 5–6 Wochen ganz geschlossen sein. Hätte man meinem Onkel Toby 12 Stunden früher ebenso viele Olympiaden genannt, so würde es ihm kürzer vorgekommen sein. – Jetzt aber folgten sich seine Gedanken so rasch, – er brannte so sehr vor Ungeduld sein Vorhaben auszuführen, – daß er ohne eine lebende Seele weiter zu fragen – was offenbar ganz richtig ist, sobald man einmal entschlossen ist, sich um keiner Seele Rath zu bekümmern – seinem Diener Trim ins Geheim den Befehl ertheilte, einen Bündel Charpie und Verbandzeug zusammenzupacken und einen vierspännigen Wagen zu bestellen, der Punkt zwölf Uhr vorgefahren sein sollte, da er wußte, daß mein Vater um diese Stunde auf der Börse sein würde. – Dann ließ er eine Banknote für die Bemühungen des Wundarztes und einen Brief voll zärtlichen Dankes für die Pflege meines Vaters auf dem Tisch zurück – packte seine Pläne, seine Werke über

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