Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy
es etwas in diesem Leben gibt, worauf sich ein Mensch verlassen kann, und das er auf die unzweifelhafte Weise kennen lernen kann, so ist es gewiß das – ob er ein gutes Gewissen hat oder nicht.
(Jetzt bin ich überzeugt, daß ich Recht habe, sagte
Dr.
Slop.)
Wenn ein Mensch überhaupt denkt, kann er dem wahren Zustand dieser Sache nicht fremd bleiben: – er muß seine eigenen Gedanken und Wünsche kennen; – er muß sich seiner vergangenen Bestrebungen erinnern, und wissen, welche Triebfedern und Beweggründe im Allgemeinen die Handlungen seines Lebens bestimmt haben.
(Das kann er nicht ohne einen Beistand, sagte
Dr.
Slop.)
In andern Dingen können wir uns durch den falschen Schein täuschen lassen, und wie der Weise klagt: »Nur schwer errathen wir die Dinge recht, die auf Erden vor sich gehen; und nur mit Mühe erforschen wir die Dinge, die vor uns liegen.« [Buch der Weisheit, 9. Kap. 16. Vers.] Hier aber findet das Herz alle Zeugen und Thatsachen in sich selbst; – es kennt das Gewebe, das es selbst gewoben – kennt sein Korn und seine Feinheit, und den genauen Antheil, den jede Leidenschaft je nach den Mustern, welche die Tugend oder das Laster ihm vorgelegt haben, an seiner Arbeit hat.
(Die Sprache ist gut, und ich muß sagen, Trim liest sehr gut, bemerkte mein Vater.)
Da nun das Gewissen nichts anderes ist, als die Kenntniß, welche das Herz von sich selbst besitzt, und die beifällige oder tadelnde Beurtheilung, welche es den einzelnen Handlungen unseres Lebens unvermeidlich zu Theil werden läßt; so ergibt sich hieraus klar, daß, wenn dieses innere Zeugniß gegen einen geht und er sich selbst anklagt, er nothwendig schuldig sein muß; – und umgekehrt, daß wenn das Facit ein günstiges ist und sein Herz ihn nicht verdammt, – es nicht blos eine Sache des Trostes oder des Glaubens ist, wie der Apostel sagt, vielmehr eine Sache der Gewißheit, daß das Gewissen gut ist und der Mensch es somit auch sein muß.
(Dann hätte also der Apostel Unrecht, sagte
Dr.
Slop, und der protestantische Geistliche Recht. – Nur Geduld, erwiderte mein Vater – wir werden gleich sehen, daß der heilige Paulus und der protestantische Geistliche der gleichen Ansicht sind. – Ja ja, versetzte
Dr.
Slop, so ganz gleich wie Ost und West; das kommt aber Alles von der Preßfreiheit her, fuhr er fort und hob die Arme zum Himmel.
Wenn's hoch kommt, so handelt es sich hier um die Canzelfreiheit, bemerkte mein Onkel Toby, denn es scheint nicht, daß die Predigt gedruckt wurde oder es je werden wird.
Mach weiter, Trim, sagte mein Vater.)
Auf den ersten Anblick möchte die Sache unter diesem Gesichtspunkte erscheinen: ich zweifle auch nicht, daß die Erkenntniß von Recht und Unrecht jedem menschlichen Herzen so tief eingeprägt ist – daß wofern es nicht manchmal geschähe, daß das Gewissen eines Menschen durch die lange Gewohnheit der Sünde nach und nach verhärtet wurde (wie nach dem Wort der Bibel in der That geschieht), – und wie einige zarte Theile seines Körpers – durch große Anstrengung und beständigen harten Gebrauch allmählich jenes feine Gefühl verlöre, das Gott und die Natur ihm verliehen hat; – niemals etwas der Art eintreten würde; – oder wäre es gewiß, daß Selbstsucht das Urtheil niemals im mindesten beeinträchtigte – oder daß die kleinen Interessen sich niemals erheben und die Thätigkeit der höheren Regionen verwirren und sie in Wolken und dichte Finsterniß einhüllen könnten: – dürfte niemals Gunst und Zuneigung diesen heiligen Gerichtshof betreten – würde es der Witz verschmähen, dort einen Bestechungsversuch zu machen – oder würde er sich schämen, als Advocat für unerlaubte Genüsse aufzutreten; oder dürften wir schließlich versichert sein, daß das Interesse stets unberücksichtigt bliebe, solange der Fall anhängig wäre – daß niemals Leidenschaft auf den Richtersitz gelangte und dort statt der Vernunft, von der man sonst annimmt, daß sie den Vorsitz bei dem Falle führt und die Entscheidung gebe, das Urtheil spräche; – wäre dies Alles wirklich so, wie der Einwurf annehmen muß – dann wäre ohne Zweifel der religiöse und moralische Zustand eines Menschen genau so, wie er ihn selbst beurtheilt; – und die Schuld oder Unschuld in eines Menschen Leben könnte im Allgemeinen durch kein richtigeres Maß ermessen werden, als den Grad seines eigenen Beifalls oder Tadels.
Ich gebe zu, daß ein Mensch, wenn sein Gewissen ihn anklagt, wirklich
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