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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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Vater in Sachen von Vornamen an den Tag legte, so wie aus manchen andern Gründen, wie ich glaube zu der Ansicht gelangt sind – (und ich weiß gewiß, daß ich es auch sagt) daß mein Vater auch in fünfzig andern Punkten ein ebenso wunderlicher und curioser Herr war.
    Es gab in der That nicht eine Stufe im Menschenleben vom erstem Acte seiner Zeugung an – bis zu den dünnen und schlotterigen Hosen seiner zweiten Kindheit, aus der er nicht eine, ihm eigenthümliche Lieblingsansicht gezogen hätte, die eben so skeptisch, ebenso außerhalb der allgemeinen Heerstraße der Anschauungen war, wie die zwei bereits näher erläuterten.
    Herr Shandy, mein Vater, wollte kein Ding in dem Lichte betrachten, in das Andere es gestellt hatten; – er setzte die Sachen in sein eigenes Licht; er wog nichts in der allgemeinen Wagschale – nein, er war ein zu feiner Forscher, um so groben Täuschungen zu unterliegen. – Um das genaue Gewicht der Dinge auf der wissenschaftlichen Schnellwage festzustellen, müßte, pflegte er zu sagen, das fulcrum fast unsichtbar sein, damit so jede Friction mit allgemein angenommenen Sätzen vermieden würde; – geschähe das nicht, so würden die minutiae der Philosophie, welche stets den Ausschlag bei dem Abwägen geben, gar nicht ziehen. Das Wissen, pflegte er zu behaupten, sei ebenso
in infinitum
theilbar wie der Stoff – es habe ebensogut seine Grane und Scrupel wie die Schwerkraft der ganzen Welt. – Mit einem Wort, pflegte er zu sagen, Irrthum sei Irrthum – gleichviel wo er einschlage – ob als Bruchtheil oder als Pfund – der Wahrheit sei Beides gleich verhängnißvoll; und sie werde ebenso unfehlbar durch ein Mißverständniß über den Staub eines Schmetterlingsflügels – als über die Scheibe der Sonne, des Monds und aller Sterne des Himmels zusammen in der Tiefe ihres Borns zurückgehalten.
    Oft klagte er darüber, daß nur weil man dies nicht gehörig beachte, oder es sowohl auf bürgerliche Angelegenheiten als auf spekulative Wahrheiten nicht geschickt anwende, so viele Dinge auf dieser Welt auf den Beinen seien; – das politische Gewölbe nachgebe, – und sogar die Fundamente unserer trefflichen Kirchen- und Staatsverfassung so unterwühlt seien, wie die Abschätzer berichtet hätten.
    Man schreit, wir seien ein zu Grunde gerichtetes, verlornes Volk, pflegte er zu sagen. – Warum? fragte er, wobei er sich des Sorites oder Syllogismus des Zeno und Cerysippus, ohne zu wissen, daß derselbe diesen Herren angehörte, bediente, – warum? warum sollen wir zu Grunde gerichtet sein? – Weil wir bestechlich sind. – Weshalb sind wir denn bestechlich? – Weil wir dürftig sind. – unsere Armuth, nicht unser Wille treibt uns dazu; – und weshalb sind wir dürftig? – Weil wir, pflegte er zu antworten, unsere Pence und unsere Halbpence nicht in Acht nehmen; – unsere Banknoten, Herr, und unsere Guineer – ja sogar schon unsere Schillinge wissen für sich zu sorgen.
    So ist es im ganzen Umkreis der Wissenschaft, pflegte er zu sagen; – die großen, feststehenden Punkte derselben stürzen nicht so leicht ein. – Die Gesetze der Natur vertheidigen sich selbst; – aber der Irrthum (pflege er hinzuzusetzen und sah dabei meine Mutter mit einem ernsten Blicke an) – der Irrthum schleicht sich durch die kleinen Ritzen und schmalen Spalten ein, welche die menschliche Natur nicht gehörig hütet.
    An diese Denkungsweise meines Vaters mußte ich Sie erinnern: – der Punkt aber, über den Sie noch unterrichtet werden müssen, und den ich für diese Stelle aufsparte, ist folgender:
    Unter den vielen trefflichen Gründen, womit mein Vater meine Mutter bestürmt hatte, lieber den Beistand des
Dr.
 Slop als den des alten Weibes anzunehmen – war einer ganz eigenthümlicher Natur, auf den er, wenn er ihr die Sache zuerst vom christlichen Standpunkt aus dargestellt hatte, und sie ihr nun auch vom philosophischen vorstellte, seinen Hauptnachdruck legte, sich als seinen Pflichtanker stützte. – Gleichwol ließ er ihn im Stiche, nicht weil der Beweis an sich zu schwach gewesen wäre, sondern weil es ihm ums Leben nicht gelang, ihr die Kraft desselben begreiflich zu machen.
    Verwünschtes Schicksal! – sprach er zu sich selbst, als er eines Abends das Zimmer verließ, nachdem er ihn ihr anderthalb Stunden lang vergeblich vordemonstrirt hatte; – verwünschtes Schicksal! sprach er und biß sich in die Lippen, als er die Thüre schloß, – daß ein Mann eine der schönsten

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