Lebensbilder I (German Edition)
lebenssatten Greise zu verbinden, dessen Gefährtin sich sicher zu dem Lose einer glänzenden Gefangenschaft verdammt sieht. Je nun! Sie haben Ihren Willen erreicht, denn ich weiß, was ich meiner Mutter und meinem Vater schuldig bin. Nur das noch mögen Sie sich sagen: auch um Sie würde es besser stehen, wenn Sie mich nicht stets auf so vornehme Weise verstießen!« Zwei große Tränen, die sie bisher zu verhalten sich bemüht, glitten an ihren zarten Wangen nieder.
»Pauline!« rief Raphael. »Können Sie so mich mißverstehen? Ich selber bin ja der Unglückliche, der Sie bittet, die letzten Lebenstage ihm zu verherrlichen, der sich in Wünschen nach Ihnen verzehrt und mit jedem Seufzer, jedem Pulsschlage wörtlich seine Lebenskraft nach Ihnen aushaucht!«
»Sie?« fragte Pauline in ihren Tränen lächelnd. »Sie wollen sich ewig mit mir verbinden?«
»Ewig?« rief Raphael verzweiflungsvoll, »ewig? – Müssen auch Sie, holder Engel, an mein todbringendes Geheimnis mich mahnen?«
»Sie reicher, vornehmer Mensch!« fuhr Pauline in reizender Freude fort, »Sie haben sich eine Sprache angewöhnt, so glatt und fein und glänzend wie Ihre Kleider. Ein armes Mädchen, wie ich, versteht Sie nicht mehr. Warum reden Sie nicht offen, ehrlich, einfach, gleich mir. Ich sage, obschon es mir vielleicht nicht ziemt: von Herzen gern bin ich Ihre Schwester, Freundin, Geliebte, Braut, Gattin, Ihre Dienerin, Ihre Sklavin, nur um stets um Sie zu sein.«
Das sanfte Geschöpf schien heftig bewegt nach diesen Worten, ein Tränenstrom entstürzte ihren Augen, sie rang schluchzend nach Atem.
»Wie, was sagen Sie, Pauline?« rief Raphael und umschlang die Weinende und zog sie an seine Brust. Beklommen und schaudernd aber betrachtete er das süße Gift, das in seinen Armen ruhte. »Ja! ja!« rief er mit Todesgrauen, »meine Wünsche sind erfüllt.«
Kurze Zeit nach diesem Auftritt las man in den Zeitungen Raphael, Marquis de Valenti, und Pauline, Baronesse von Gaudin, als neuvermähltes Paar angezeigt. Die holde Erscheinung in der Loge, am Abend der Aufführung der »Semiramis«, schwebte allen noch frisch im Gedächtnis, man beriet und bespöttelte den Zusammenhang, machte sich über die extemporierte Heirat lustig, bis ein neues Ereignis wieder alle Aufmerksamkeit, allen Witz und alle Zungen in Anspruch nahm. Die damaligen politischen Stürme übrigens waren wichtig genug und beschäftigten zu sehr alle Gemüter, als daß man nicht bald eines einzigen Liebespaares vergessen hätte, das obendrein sich weder sehen noch von sich hören ließ.
Raphael saß eines Morgens allein und trauernd in seinem Arbeitszimmer. Eine Übersetzung des ersten Fragments von Goethes »Faust« lag vollendet vor ihm, und er blickte nach dem heillosen Talisman ihm gegenüber, der, welk und zusammengeschrumpft, kaum noch zu erkennen war. »Meine letzte Arbeit!« sagte er laut vor sich hin; – »wiegt die Summe meiner Tätigkeit nun den Wert des Lebens eines Mannes auf, verlohnt sich's deshalb der Mühe, den Beschwerden des Daseins sich zu unterziehen? Und ich habe mehr gedacht, mehr gefühlt als so mancher Mann in Frankreich. Was wollen denn die Menschen auf der Welt, und wozu hat Gott Herz und Geist geschaffen?« – »Und bin ich glücklich?« fuhr er nach einer langen, trüben Pause fort. – »Einst dachte ich, der Besitz der reizenden Pauline könnte meine Rechnung mit den Lebensfreuden schließen, auf den Tod mich vorbereiten, meine verwegenen Wünsche sättigen und stillen. – Aber vergebens seufzte ich mein Dasein sehnsuchtsvoll in ihren Armen hin, sah stündlich, augenblicklich den Barometer meines Lebens sinken. Es versiegt nunmehr, und ich war nicht glücklich! – Nimmer schlossen zwei so ungleiche Geschöpfe das ewige Bündnis. Wir möchten uns beide lieben, doch wir können's nicht, wir verstehen uns nicht! – Als ich zum erstenmal in jenem glücklichen Dachstübchen das deutsche Märchen ihr vorlas, sank sie aufgelöst in Weh und Tränen an mein Herz, nannte mich unglücklich, meines Dichtertums halber: denn eine Seelenfolter, eine Hölle der Pein und Schmerzen sind diese Wonnen ihr. Beginne ich nur von dem zu reden, was mich ganz und gar erfüllt, so erbleicht sie, ihre Augen füllen sich, sie atmet ängstlich und beklommen. So stehe ich immer noch einsam wie sonst. Ach! Vater! immer sehne ich mich zu dir! du hast nicht wohlgetan, meine Jugend ganz von allem Leben zu trennen; vielleicht hätte ich doch einen Freund gefunden. Aber als
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