Lebensbilder I (German Edition)
eingeflößt, und unsere Liebe und unser Dank wird Ihnen nicht lästig sein.«
Sie schlüpfte in den Wagen. »Gute Nacht, liebes Kind!« rief Raphael hinein. Sie reichte ihm die Hand hinaus, heftig preßte er sie an seine Brust und bedeckte sie mit heißen Küssen. Sie wand sich wie erschrocken los und versteckte sich ängstlich im Hintergrunde des Wagens. Raphael schloß den Schlag. »Rue des Cordiers, Hotel St. Quentin!« rief er dem Kutscher zu. Der Wagen rollte fort, und Raphael dünkte es, als würde eine Seligkeit ihm entführt.
»Pauline!« rief er bei sich, »Pauline, Zauberin, Wundergeschöpf, warum erkenne ich jetzt erst meinen guten Engel in dir?«
Tränen entstürzten seinen Augen, noch lange stand er im Freien und weinte, bis er bedachte, wie notwendig es dem guten Rufe Paulinens sei, sich wieder in seiner Loge zu zeigen.
Alle Köpfe aber waren schon wieder der Szene zugewendet. Die gute Gesellschaft, von der Bewunderung des Ungewöhnlichen zurückgekommen, saß wieder da in aristokratischer Alltäglichkeit und hörte auf die Rossinische Musik, um sie, wie es der Ton und die Mode begehrten, zu bewundern. Nur Raphael – wäre ihm nicht das Wünschen bei Leib und Leben untersagt gewesen – hätte auf einem jungen, mutigen Rosse durch Sturm, Nacht und Unwetter jagen mögen, statt in seiner Loge zu sitzen: und als die Handlung auf der Bühne sich belebte, die Musik zu jenem beliebten Rossinischen Lärm schwoll, der Mund mehrerer hundert Sänger ein vollkommenes O bildete, hundert Musiker aus Leibeskräften dazu arbeiteten und nur der pausbackige Trompeter und der begeisterte Paukenschläger noch über den chaotischen Lärm hinausstreben konnten, war er in süße und wehmütige Träume versunken und dachte bei dem Lärm, des Staunens einer Welthauptstadt würdig, an eine holde weibliche Seele: wie sie mit tiefblauen Himmelsaugen ihn angeschaut, und wie sich diese Seele weniger in Umrissen und Körper und Farbe als in zarter, holder Fülle gestaltete und nur ein warmer Rosenhauch die lilienweiße, keusche Haut durchschimmerte. Die ihn als Kind schon eine Unschuldsgöttin gedünkt, die edlere, bessere Schwester Amors, welche die Antike nicht kannte, die schien ihm jetzt als Jungfrau ein süßes, menschliches Geheimnis zu verwirklichen. Ihr Wesen hatte etwas Seraphartiges gewonnen, was augenlose Bildnerkunst nie erreichen konnte, was nur dem Zauberspiel von Licht und Farbe zugänglich bleibt. Und wie diese Erscheinung ihn angelächelt, nur mit einem leisen, wehmütigen Zug um die Oberlippe und mit den reizenden Wangengrübchen: darum hätte er Tränen – der Liebe und des Lebensgefühls weinen mögen.
Plötzlich fiel sein Blick auf Feodora, – und befreit von allen Zaubern, die ihn an sie fesselten, fühlte er sich. Ein stattliches Weib nur dünkte sie ihn, aber er liebte, er haßte sie nicht. Auch seine Rache, um die er so manchen stillen Vorwurf sich gemacht, konnte er sich vergeben. Es war das Werk einer rasenden Verblendung. Aber in seiner Raserei hatte er Wahrheit verkündet, in seiner Verzweiflung Recht gesprochen: »Abgewaschenes, aufgeputztes, parfümiertes Weiberfleisch, zur Schau getragen, um Gründlinge zu ködern.« Obendrein saß sie jetzt mit einem Ausdruck niedrer Wut der gekränkten Eitelkeit in den zuvor regelmäßigen Zügen, in einem so unedlen Mißmut da, als fühle sie selbst, im eigenen Innern, alles, was ihr Beobachter aus ihrem Anblick schloß.
»Wie kam ich darauf, Liebe diesem Wesen abdringen zu wollen,« fragte sich Raphael. »die sie weder je gefühlt hat, noch irgend ahnen wird? Liebte ich etwa nur diese Körperreize? – Gewiß nicht! Es war daher eben so unrecht wie unverständig, sie zu mißhandeln, weil sie mir nicht entgegenkam, wie ich es wollte. Sie selber empfindet nicht für sich, wie ich törichterweise für sie empfinden wollte. Sie könnte ja sonst so unglücklich nicht dasitzen, weil es eine Schönere gibt als sie, wenigstens eines solchen Grundes halber wäre sie nimmermehr in meiner Achtung gesunken wie sie jetzt in ihrer eigenen.«
Er hütete sich wohl unter diesen Betrachtungen, nach der Ärmsten, der sie galten, hinzublicken, er bemitleidete sie und wollte ihren Grimm nicht vermehren. Erst nach einer guten Weile, da er sich erhob, um das Theater zu verlassen, schweifte ein flüchtiger Blick über die Loge hin, und sie war leer.
»Jonathan,« fragte Raphael bei seiner Heimkehr, »hast du heut eine ganze Loge für mich genommen?«
Dieser antwortete nach
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