Lebensbilder I (German Edition)
Kind schon stimmte mich die Einsamkeit zur Schwermut, nirgends finde ich den heiteren, zum Leben unentbehrlichen Leichtsinn der Daseinsfreuden. Niemand liebt, niemand kennt mich, und wenn ihr stillreizendes Wesen zum schwärmerischen Liebeswahnsinn mich erregt, ist diese Allgewalt der Glut ihr ein Grauen. Sie erschrickt, sie kämpft gegen mich oder fleht weinend um Schonung. Ich muß Sanftmut heucheln, damit sie vor meinen Liebkosungen sich nicht ängstige. – Verfluchter, trügerischer Talisman!« rief er wild und zornig gegen das Elendsfell. – »Was verschrumpftest du so gräßlich, als ich gestern dir gebot: Pauline soll mich lieben? Ist Liebe nicht Tausch der Seele um Seele, der Glut um Gluten? – Reicht deine Macht nicht hin, ihr Seele und Glut einzuflößen, so ist unser Pakt gebrochen; meine Wünsche sind höher als deine Macht! Aber ich trotze dem Leben und dir! Noch einmal gebiete ich: Pauline soll mich lieben, mich verstehen, mit mir fühlen .« Der Talisman blieb diesmal unverändert. Raphael hatte die schwarze Linie, so oft sie sich verringert, wieder erneuert, aber nirgends wollte heut der rote Teppich durchschimmern.« – »Wäre dieser Wunsch schon erfüllt?« fragte er befremdet. Er öffnete die Seitentür, und alle Türen des ganzen Flügels sprangen auf, bis zum letzten Zimmer, Paulinens Schlafgemach. Er betrat es. Sie ruhte noch im sanften Morgenschlummer, ihr Haupt war auf den linken ausgestreckten Arm gestützt, die Hand hing schlaff über den Rand der Bettstelle. Mit der Rechten schien sie bemüht, selbst im Schlafe keusch, die rotseidne Decke über Schulter und Brust zu ziehen, welche atmend die Hüllen fortstieß. Da lag sie, weißer als der Schnee der Kissen, die geschlossenen Augen mit den langen Wimpern gaben dem holdseligen Antlitz, vom Schlafe versüßt, etwas unwiderstehlich Rührendes. Raphael betrachtete wehmütig die zarten Glieder, das Ätherische des Ganzen. »Unglückselige Semele,« sagte er, »unglücksel'gerer Jupiter ich! Ein höllischer Fluch waltet über mir, mit olympischen Flammen die Zarte zu vernichten.« – Plötzlich raffte er sich auf, eilte in sein Zimmer zurück, und außer sich rief er, zum Talisman gewendet: »Pauline soll mich überschauen, Pauline soll tiefer empfinden als ich!« – Aber wieder nicht regte sich das Elendsfell. – Da stieß er ein höhnisches Lachen aus. »Welch ein Zauber kann ein Inneres höher stimmen als das meine?« rief er triumphirend; »habe Dank, du böses Hexenwerk, für diesen Trost! Aber unser Pakt ist gebrochen; mehr Geist, mehr Gefühl, als ich besitze, kann im beschränkten Menschentum nicht hausen. Ich habe gewünscht, was du nicht erfüllen kannst. Hinweg mit dir! und tritt nicht eher wieder vor meine Augen, als bis Pauline tiefer fühlt, höher denkt als ich!« – So sprechend, riß er den Talisman von der Wand; noch war's ihm, als ob ein leises Verschrumpfen die Haut seiner innern Hand streifte, doch er achtete nicht darauf, eilte hinab in den Garten und warf den Talisman in einen tiefen Brunnen.
»Jetzt bin ich frei!« rief er, als er zurückkehrte: »wohl mir, daß jene Wand dort rein! Die Furcht vor dem Tode brachte dem Grabe mich näher als der böse Zauber.« – Da aber stiegen quälende Zweifel in ihm auf. »Bin ich auch wirklich frei, waltet kein Mißverständnis?« fragte er. – »Furchtbares Ding! hast du noch Macht über mich, so beantworte mir die Frage, gib irgendein Zeichen, hörbar, sichtbar, fühlbar! Werde ich jetzt noch lange leben?« – Alles blieb still und regungslos, kein Lüftchen streifte durch die Vorhänge! »Wieviel Jahre noch?« – fragte er weiter. Immer noch regte sich kein Laut. – »Wieviel Monden?« – Die Grabesstille dauerte fort. – »Wieviel Wochen?« fragte Raphael immer mutiger, – Welt und Leben schienen erstorben ringsum. – »Wieviel Tage?« – Eben wollte Raphael aufjauchzen, da rasselten die Räder einer kostbaren Zimmeruhr. »Gott im Himmel, nur acht Tage noch?« rief Raphael trostlos. Er hatte sich geirrt, nur drei Schläge tat die Uhr, noch eine Viertelstunde fehlte zur achten Stunde. – Leblos sank er zu Boden. –
Am dritten Tage, an einem heiteren Morgen des Februar, da anhaltend gutes Wetter Frühlingshoffnungen verhieß, saßen Raphael und Pauline in einem kleinen Gartensaal, von Blumen ringsumgeben; die Luft war so überaus mild, daß die Glastüren, die in ebener Linie auf den weitläufigen Garten gingen, weit offen standen. Raphael war seit wenig Tagen
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