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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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trachtete rasend und verzweiflungsvoll, ein neuer Faust, nach dem Gipfel der Menschheit. Gott sei mir gnädig!«
    Röchelnd ließ er das Haupt zurücksinken. Aber Paulinens Tränen versiegten, ihre Augen leuchteten, ihre ganze Gestalt schwebte, wie erfüllt von einem schönen Gedanken.
    »Du bist zu retten, Raphael!« rief sie laut. »Wolle nur, daß jemand des tödlichen Besitztums dich entledige – wolle es nur!«
    »Es wäre Mord!« ächzte er. »Ein lebenssatter, ein verurteilter Verbrecher, ein mit dem Tode qualvoll Ringender! – Wolle nur!«
    Da wälzte sich bleischwere Nacht kalt, gräßlich über seine Brust und Sinne. Er bäumte, dehnte sich, und immer wollte sein Herz nicht brechen. Endlich erpreßte ihm der Todeskampf die Silben: »Ich will!« Und augenblicklich fühlte er Linderung.
    »Ich will!« wiederholte mit Silberklang eine Engelstimme. Er erholte sich – aber Pauline lag, mit dem Tode ringend, am Boden. »Gib mir zurück!« schrie er rasend.
    Sie schüttelte das sterbende Haupt. «Du bist ein Mann, ich kann nicht stark sein und ohne dich leben. Gedenke meiner Worte, nütze du fürs Leben, was ich für den Tod: – Jesus Christus!« In diesem Schmerzensseufzer hauchte sie die holde Seele hin. Ihr sanftes Herz war gebrochen, die liebliche Hülle ruhte still und kalt in Raphaels Armen.

Schluß- und Nutzanwendung
    »Aber, lieber Raphael, das Abendessen ist aufgetragen, Herr und Madame Rastignac warten schon seit einer Stunde. Ist es recht, dir Gäste zu bitten, die ich unterhalten muß?«
    »Nur einen Augenblick, Pauline – so – nun bin ich fertig!« Er legte bei diesen Worten die Feder hin, stand auf, umarmte seine reizende Gattin und war hochvergnügt.
    »Hast du den garstigen Traum vom Elendsfell, wie ich dich gebeten, ausgelassen?«
    »Nein, liebes Kind. Ich schrieb alles, wie ich's dir erzählte.«
    »Also ein Märchen und ein häßliches, mitten in der Wirklichkeit!«
    »Haben unsere Flitterwochen nicht auch für dich Märchenhaftes? – Wer besitzt eine Gattin wie Pauline und wagt's, seines ersten Glückes Hochgefühle im Tone einfacher Wirklichkeit auszudrücken?! Übrigens, mein Kind, war mein anfängliches Leben so bunt und bewegt, daß die bloße Herrechnung meines späteren Glücksfalls sich matt und farblos dagegen ausnehmen muß. – Der Schmerz ist einmal die Tiefe der Poesie. Er ist die Bedeutung des Lebens; in dem meinigen zog er sich freilich aus den äußern Umgebungen ganz in mein Inneres hinein, darum mußte ich zum Phantastischen und Märchenhaften die Zuflucht nehmen, um ihn sichtbar zu machen, um Haltung und Zusammenhang in das ganze Bild zu bringen. – Bedenk' nur, am Abend, wo ich Lust hatte, in die Seine zu springen, begegnen mir drei Freunde, führen mich verhungert und verschmachtet zu einem glänzenden Gastmahl, und dort erfahre ich den Tod eines längst verloren geglaubten Oheims und werde unmäßig reich. – Der Vorfall an sich ist trivial, er steht widersprechend und störend zu meinem früheren zusammenhängenden Schicksal, er ist ein unziemlicher Deus ex machina , der die Erzählung nicht beschließt, sondern nur verlängert. Die dichterische Auffassung des Lebens kann sich mit den Spielen eines rohen Zufalls nie befreunden. Der Vorfall hatte, wie gesagt, mein inneres Leben im höchsten Grade begünstigt; dieses beginnt, aber es führt mich zu keinem Glücke, bis ein eben so willkürlicher Zufall dich mir entgegenführte. Gedenke auch jenes Morgens, an welchem sich zuerst deine Zunge löste, die dein ganzes teures Wesen, und in deinem Wesen einen Himmel, mir erschloß, und wie du mir erklärtest, daß das Wunder, welches dich so bald und schön zur Jungfrau erblühen machte, die Liebe zu mir sei.«
    »Und wie du, zum Lohne dafür, im selben Augenblick mich sterben läßt!«
    »Ja! denn du gewannst einen so rührenden, tieffesselnden Reiz, dein seelenvolles Leben ward in diesem Augenblick etwas so Tragisches, Überirdisches, was auf Abschließung dringt. – Ich kann dich nur als tragische Figur in meinen Poesien gebrauchen.«
    »O Raphael, so ist der Ungestüm deiner Empfindung noch immer nicht durch Vernunft und Ergebenheit gemildert, wie du mich glauben machen willst!«
    »Er ist's! – Laß der Poesie ihre Rechte, mich hast du ja zum besseren Menschen gemacht. Sieh, meine rasende Ehrbegier hat sich auf redliche Tätigkeit beschränkt. Ich lebe nicht mehr ganz und gar im Dichtertum, durch dich hat auch die Wirklichkeit Reiz für mich. Oh, es ist so

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