Lebensbilder I (German Edition)
Schicksal lang ungerecht war gegen echtes Talent, irgendwie und wo kommt die Anerkennung! Und unsere Zeit, in allem rascher als die vorigen Jahrhunderte, holt gewöhnlich noch den Lebendigen ein, um ihm Balsam auf die Wunden zu träufeln und einen bescheidenen Kranz auf den kahl gewordenen Scheitel zu drücken. Schiff war wohl schon zehn Jahre öffentlich aufgetreten, aber noch hatte weder das Publikum noch die Kritik die Notiz von ihm genommen, auf die sein Talent Anspruch hat. Von seinem ersten Buch, einer Studentenhumoreske, die in ihrem Kreis gefallen hat, »Pumpauf und Pumprich«, wurde ihm sogar die Autorschaft abgestritten. Er selbst sprach nicht gerne davon, als einem Produkte jugendlichen Übermuts. Sie hat, wenn auch in barocker Manier, ihre Verdienste, doch bleibe sie immerhin vergessen. Eben desgleichen bleibt der Ruhm, den seine dramatischen Arbeiten in Anspruch nehmen, zweifelhaft. Seine »Agnes Bernauerin« bekundet freilich die ganze dichterische Innigkeit, den Naturhauch und Naturdunst der Empfindungen, in dem Schiffs Poesie ihren Kulminationspunkt hat, aber als Drama ist das Ganze allzusehr subjektiver Guß, der der Gestaltung entbehrt. ...
Seine Märchen und Novellen gehören dagegen zu den sinnreichsten Phantasien und ausgebildetsten der neueren Zeit. Das Märchen »Alban und Alba«, die schauervolle Erzählung »Varinka«, die psychologisch humoristischen Novellen »Zwei Fliegen mit einer Klappe« und »Der Häßliche« und andere würden dem Verfasser einen Ehrenplatz in der Literatur sichern, wenn sein Unglücksstern nicht gewollt, daß sie in den Zeltungsblättern übersehen und, in Sammlungen erschienen, nicht beachtet wurden. An Tiefe der psychologischen Auffassung, an Schmelz in den lyrischen Partien wetteifern sie mit Tiecks Novellen und würden mehreren darunter wenig nachgeben, wenn Schiff Tiecks Weltblick besäße. Er kann aber nur kleine Segmente aus dem Globus herausschneiden, für das Umher ist er blind.
Am sichtbarsten war dieser Unglücksstern bei seiner Übersetzung der »peau de chagrin« von Balzac. Unter dem sinnvoll umgearbeiteten Titel »Elendshaut« [Fußnote: Ein Flüchtigkeitsfehler von Alexis. Schiff schrieb »Elendsfell«. ] lieferte Schiff nicht eine Übersetzung, sondern eine der geistvollsten Parodien der Balzacschen Schrift. Kaum eine Seite in Schiffs Arbeit ist Eigentum des Franzosen. Die Charaktere der Fabel, den Dialog umschmelzend, bemühte er sich, die verkehrten Richtungen der französischen Romantik zu persiflieren, und glaubte nicht anders, als daß jeder Leser dies auf den ersten Blick sehen und anfangs sich verwundern, dann den Schalk erkennen würde. Denn so gegen sein eigenes Fleisch wüten kann kein Franzose. Schiff erwartete Ruhm und Ehre bei der Entdeckung. Aber sein Plan war zu fein angelegt für das Publikum. Man las die »Elendshaut« mit Vergnügen und gab sich nicht Mühe, darüber nachzudenken. In den gedruckten Kritiken wurde Schiffs Arbeit als eine recht gelungene, treue Übersetzung gerühmt! Das war selbst für seine Lebensphilosophie zuviel.
Daniel Schiffs Persönlichkeit war eine der merkwürdigsten und hat nicht wenig dazu beigetragen, dem Sukzeß des Schriftstellers zu schaden. Sein Wesen, sein Benehmen streifte über das Kindliche hinaus. Wer, ohne ihn zu kennen, den unsteten, zerstreuten Menschen sah und dabei Fragen hörte, die man gewöhnlich schon in Tertia abgetan hat, dachte an alles andere eher als an einen geistvollen Schriftsteller. Seine Zerstreutheit überschritt alles Maß. Unbeholfen in den Verhältnissen des Lebens, ging er oft mit einer Naivität auf sein Ziel los, welche heut zu den Wundern gehört ...
Obgleich er in der Unterhaltung vom Hundertsten auf das Tausendste übersprang und durch Kreuzfragen die Sprechenden aus der Fassung brachte, wurde er doch plötzlich zum begeisterten Redner, wenn die Unterhaltung eine Ader traf, wo er zu Hause war. ...
Ein Widerwille gegen alles Sentimentale war nicht Produkt seiner ästhetischen Anschauungsweise, sondern trug einen idiosynkratischen Charakter, der selbst belustigen konnte. Er wurde unruhig, seine Zerstreutheit nahm einen krankhaften Anstrich an, die innere Natur rebellierte, wenn er eine sentimentale Lektüre anhören mußte. Ja, instinktartig witterte er, wo etwas Derartiges kommen mußte, und seine Gesichtszüge bekamen einen Ausdruck, den man nicht besser als mit dem populären Worte »ihm wird schlimm« bezeichnen kann. So war für andere seine Angst belustigend,
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