Lebensbilder I (German Edition)
jetzt gefunden hat. denn diese Annahme ist mir lieber, als an ein absolutes Unglück glauben zu müssen, das, wie ein Erbfluch auf ihm lastend, ohne eigene Schuld ihn verfolgte. Diese Rücksicht allein veranlaßt mich, ein flüchtiges Bild von ihm zu entwerfen, welches Züge enthält, die ein wohlwollender Biograph sonst lieber verschweigt....
In obligatorischen Dingen war insofern kein Verlaß auf ihn, als er materielle Dinge in ihrer Bedeutsamkeit, vermöge seiner Natur, nicht zu schätzen wußte. In allen ernsteren, tieferen Verbindlichkeiten bewährte sich sein treues Gemüt. Mit derselben Heiterkeit wie sein Familienunglück ertrug er auch das, was ihn als Schriftsteller verfolgte. Nie ging ihm die Hoffnung aus, mit ungeschwächtem Eifer ging er an jede neue Arbeit, immer gestählt von dem beseligenden Glauben »das muß doch endlich gelingen.« ... In seine »Agnes Bernauer« war er verliebt, wie Kleist in sein »Käthchen von Heilbronn«. Er hat sie mehrmals umgearbeitet, erst als Erzählung, Roman, dann als Drama.
Heine wurde zuerst auf sein Talent aufmerksam.
Für die Beurteilung der Persönlichkeit Schiffs ist diese Leichenrede auf den damals noch Lebenden von der größten Bedeutung. Sie eröffnet Einblicke in das Wesen eines weltfremden Mannes, dem die primitivsten Realitäten des Daseins die ärgsten Unbequemlichkeiten bereiteten, die er niemals überwinden konnte. An Justinus Kerner , den immer Kind Gebliebenen, der zeitlebens die Münzen nicht voneinander unterscheiden konnte und an den naivsten Spielereien stets Gefallen fand, wird man gemahnt. Nur daß Kerner seinen Berufspflichlen treu nachkam, indes Schiff niemals den Obliegenheiten selbst der kleinsten Anstellung gewachsen war. Daß er ein politisches Blatt redigiert hätte, wie Alexis behauptet, ist kaum glaublich. Es dürfte sich um die Mitarbeit an der Hamburger Zeitschrift »Die Biene« handeln, der Schiff 1823 eine Anzahl Theaterkritiken und sonstige kleinere Beiträge lieferte. Möglicherweise redigierte er das Blatt eineZeitlang, wahrscheinlich aber recht unglücklich, wie er auch in seinem späteren Leben einer länger währenden redaktionellen Tätigkeit niemals gewachsen war. Er konnte sich eben in das Leben nicht schicken und klagte dieses immer an, es werfe ihm Prügel zwischen die Füße. Das Unterlassen jeder Benachrichtigung seiner Berliner Freunde von seiner Ankunft in Hamburg verrät wohl nichts anderes als einen Mangel jedes Taktgefühles. Schiff konnte sich ebensowenig in der großen Welt benehmen wie unter seinen Freunden, die er immer ohne jeden Grund vor den Kopf stieß. Sobald er innerlich mit ihnen fertig war, brach er jeden Verkehr ab. Das ist die einzige Erklärung für sein stillschweigendes Verschwinden. Aber er erreichte es, daß man sich in ganz Deutschland mit seinem unerwarteten Hinscheiden beschäftigte (vgl. besonders »Phönix«. 1835. Nr. 307) und den Verlust, den die Literatur erlitten habe, beklagte.
Das Dementi der Nachricht vom Tode Schiffs erfolgte am 16. November 1835 im »Freimütigen« Nr. 228:
»Herr Doktor Schiff ist nach glaubwürdigen Nachrichten wirklich in Hamburg angelangt und lebt daselbst zurückgezogen bei seinem Vater. Der Verlust seiner Mutter, der ihn inzwischen getroffen, hat ihn vielleicht so erschüttert, daß er für einige Zeit es selbst vorzog, den Verschollenen zu spielen. Doch arbeitet er gegenwärtig wieder an einigen Dichtungen, welche in Hamburg erscheinen sollen.«
Schiffs Tat mit einer seelischen Erschütterung, die dieser erlitten hatte, zu motivieren, konnte nur ein ihm wirklich gutgesinnter Freund, der nicht wußte, daß der von ihm Totgeglaubte später noch einigemale im Mittelpunkte sensationeller Affären stehen würde. Denn bei Schiff begegnet man häufig der Tatsache, daß in entscheidenden Abschnitten seiner literarischen Entwicklung ein merkwürdiges Ereignis eintritt, das ihn dem Interesse der Allgemeinheit naherückt. Ein Gutes hatte die falsche Todesnachricht jedenfalls, daß man nämlich – wie auch das »Morgenblatt« 1835, Nr. 306 meinte – auf ihn, der bisher so wenig gewürdigt worden war, aufmerksam gemacht wurde. Jetzt hatte Schiff nur die Pflicht, das rege gewordene Interesse durch sein Schaffen zu befestigen und zu erhalten. Anfangs gab er sich in Hamburg redlichste Mühe, dies zu tun. Er publizierte bereits 1836 zwei Novellen, die wenigstens seine neu erwachte Arbeitslust beweisen konnten. Eine davon erschien im Verlage von Hoffmann und Campe, mit
Weitere Kostenlose Bücher