Lebensbilder I (German Edition)
schweres Hindernis für eine tiefer schürfende Gelehrsamkeit. Mit ihrer Weisheit seien die Rabbinen seit jeher sogar dem lieben Gotte nur beschwerlich gefallen, mit dem sie, weil »Juden nicht genug bekommen können«, vollständig zerfallen seien. Ausgesprochene Oppositionsgesinnung ist also die sichtliche Tendenz des ganzen Buches, in dessen Einleitung Schiff zwar seine vollste Objektivität betont, an die indes kein Leser glauben kann [Fußnote: Vgl. die Besprechung im Literaturblatt des »Komet«, 1842, Nr. 30. ] .
Von dieser überdeutlichen Abneigung gegen alles Jüdische und dem Abfall vom Judentum war nur mehr ein kleiner Schritt, und diesen mußte Schiff, der innerlich längst Apostat war, machen. Er hat sich denn auch in Glaubitz bei Großenhain (in Sachsen) taufen lassen. (Diese Tatsache wird hier nach amtlichen Ausweisen zum erstenmale mitgeteilt und widerlegt alle Behauptungen z. B. in Schröders »Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller« VI, 52, in Haarbleichers »Zwei Epochen« (1867), Seite 316 ff., daß Schiff bis zu seinem Tode Jude geblieben sei.)
Diese letzte Konsequenz aus seiner unverkennbaren Gesinnung mußte er ziehen. Wer innerlich mit dem Judentum so völlig fertig war wie Schiff, durfte ihm auch äußerlich nicht mehr angehören. Ein Umstand mag übrigens diesen Entschluß, Christ zu werden, beschleunigt haben; der Vierzigjährige hatte sich in eine neunzehnjährige Schauspielerin, Luise Karoline Auguste Leidhold [Fußnote: So ist die Schreibung des Namens im Trauscheine; in anderen Dokumenten erscheint er als Leuthold. ] , die Tochter des Aufwärters in der Neukirche zu Leipzig, Gotthelf Leidhold, verliebt und heiratete sie am 27. November 1841 in der evangelischen Kirche zu Schkeuditz [Fußnote: Frdl. Mitteilung des Pfarrers Bröse in Schkeuditz. ] . Es war die törichteste, folgenschwerste Tat seines an Extravaganzen überreichen Lebens. Schiff, der sich selbst dem leisesten Zwang niemals fügen konnte, dem der Begriff eines geordneten und geregelten Lebens stets fremd war, hätte vielleicht durch eine energische, kluge, feinfühlige Frau, die durch scheinbares Eingehen auf seine Schrullen ihren Willen durchgesetzt hätte, in ruhige Bahnen gelenkt werden können. So aber war er mit seinem rohen, undisziplinierbaren Naturell an eine leichtfertige Kokette geraten, der er übrigens das Leben recht schwer gemacht haben mag, weshalb sie ihm einen Tag nach der Trauung davonlief. Ein wichtiger und unbedingt glaubwürdiger Gewährsmann, von Corvin , erzählt in seinen »Erinnerungen aus dem Leben eines Volkskämpfers« (Band II. Kap. 9. Seite 330–331):
»Einst traf ich ihn im Hotel de Bavière (in Leipzig). Ich freute mich natürlich und setzte mich in seine Nähe. Nach einer Pause sagte er: ›Ich habe mich gestern verheiratet.‹ – Das klang fast noch unglaublicher als sein Geld haben [Fußnote: Davon spricht Corvin im Vorhergehenden. ] . ›Mit wem?‹ rief ich erstaunt. ›Und wo ist denn Ihre Frau?« – »Ach – sie ist mir heute wieder davongelaufen« sagte Schiff und kaute gleichgültig weiter. Die Sache war indessen genau, wie er mir sie erzählte.« – So gleichmütig hätte Schiff das Davonlaufen seiner Frau nicht hinnehmen dürfen. Denn er blieb verheiratet und mußte die Folgen dieser Tatsache auf das grausamste während vieler Jahre verspüren. Doch war er so taktvoll, der Frau, der er die bittersten Stunden seines Lebens verdanken sollte, nie ein gehässiges oder zorniges Wort nachzusagen. Er fand nicht einmal die Kraft, sich von ihr, die nie sein war, scheiden zu lassen oder die Vaterschaft der Kinder, die sie gebar, abzulehnen.
Drückende Not, der er überhaupt nicht mehr entrinnen konnte, mag das ihrige beigetragen haben, daß Schiff so lethargisch wurde. Er durfte sich in Leipzig nicht beklagen, daß er übersehen oder verkannt worden wäre. Die »Zeitung für die elegante Welt«, der »Komet« und dessen Literaturblatt standen ihm offen; sogar als ständiger Mitarbeiter der »Grenzboten« wird er auf dem Titelblatt des 2. Jahrganges angeführt, doch schrieb er nur zweimal für sie. Wichtig ist eine im 2. Novellenhefte der »Grenzboten« (1842) abgedruckte Märchennovelle Schiffs »Ohnespaß«, die Geschichte eines vom Himmel gefallenen Engels oder Marienkindes, die vielleicht identisch ist mit »Das Marienkind. Geschichte eines Engels«. Vom Verfasser des »Gevatter Tod«. (Leipzig. 1842. Hartung.) Die besten Beiträge finden sich in Herloßsohns »Komet«, vor
Weitere Kostenlose Bücher