Lebkuchen und Bittermandel
schieben. »Was hast du mir zu sagen?«, zischte sie ihrem Kurzzeitbettgefährten zu.
»Ich? Nichts!«, gab Paul mit leiser Empörung von sich. »Viel interessanter ist es, was du mir zu sagen hast: Jakob ist doch nicht wirklich an einem Stück Lebkuchen erstickt, oder?«
»Nein, nicht wirklich. Schon eher an einem Stück Mandel.«
»Mandel?«
»Ja, Genaueres lässt sich natürlich erst nach einer Obduktion sagen, aber der Notarzt hat eine Vermutung geäußert, die mir und euch den Rest des Abends vermiesen wird: Die Todesursache liegt offenbar in einer tödlichen Dosis Blausäure, dem konzentrierten Extrakt der Bittermandel.«
»Du meinst …«
»Ja, wie es aussieht, ist dein Freund einem Giftmordanschlag zum Opfer gefallen. Wie gesagt: Wir müssen zwar noch die weiteren Untersuchungen abwarten, aber wir sollten davon ausgehen, dass wir es hier mit einem Gewaltverbrechen zu tun haben.«
»Das ist nicht möglich. Jan-Patrick würde nie …«
»Aha, der Lebkuchen stammt also aus der Küche deines Freundes.«
»Nein! Das heißt: ja. Aber nein, Jan-Patrick hätte gar keinen Grund für …, für …«
»Über den Grund unterhalten wir uns später. Es ist anzunehmen, dass der Lebkuchen ein Gift enthielt, das zum Tod eines Menschen führte. Wir werden nicht umhin kommen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.« Jasmin konnte sich ein winziges, etwas gemeines Lächeln nicht verkneifen. »Wegen der Urlaubszeit so kurz vor den Feiertagen hat auch die Staatsanwaltschaft nur einen Notdienst. An diesem Wochenende ist – glaube ich – Frau Oberstaatsanwältin höchstpersönlich an der Reihe.«
»Oh, nein«, stieß Paul leise aus.
»Oh, doch«, entgegnete die Kommissarin. »Deine Freundin Katinka darf sich mit diesem mutmaßlichen Giftmord herumschlagen. Ich werde sie gleich informieren. Aber vorher muss ich den Täterkreis sondieren. Wie viele Personen hielten oder halten sich heute Abend hier auf?«
Paul erklärte ihr, dass es sich um eine geschlossene Gesellschaft handelte und die in Betracht kommende Personengruppe daher sehr überschaubar sei. Bei der Frage danach, wer den vergifteten Lebkuchen auf dem Büfett oder sogar gezielt auf Jakobs Teller platziert haben könnte, musste Paul passen: »Jan-Patrick hat uns alle zum Küchendienst eingeteilt. Es hätte also fast jeder sein können.«
Die Sommersprossen auf Jasmins Wangen nahmen eine kräftige Färbung an, was sie immer taten, wenn sie erregt oder aufgeregt war. »Fast? Warum sagst du fast?«
»Weil, na ja, weil sich drei Teilnehmer ums Helfen herumgedrückt haben: Jakob selbst, denn er war in ein Gespräch mit Hilde und unserem alten Lehrer Klugmann vertieft. Hilde, das ist die mit dem Kurzhaarschnitt und der stylischen Brille dort drüben. Ja, und genau genommen gehörte ich auch dazu, denn ich wollte die drei zur Mithilfe animieren und war dann selbst zu spät dran, um noch ein Tablett tragen zu können.«
»Mit anderen Worten: Hilde, euer Lehrer und du scheiden aus dem Kreis der potenziellen Täter aus«, schlussfolgerte Jasmin. »Das nehme ich fürs Erste so hin, werde es aber selbstverständlich noch überprüfen.«
6
Katinka schien von ihrem Rufbereitschaftstermin am Samstagabend alles andere als begeistert zu sein. Sie trug einen unifarbenen Hosenanzug, das lange blonde Haar hatte sie zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Genau wie zuvor schon bei Jasmins Auftritt war Paul die erste Anlaufstelle für die Oberstaatsanwältin:
»Da glaubt man, einen freien Abend zu haben vom Dienst und vom Verlobten, geht ins Kino, um sich den neuesten Hugh-Grant-Film anzusehen – und dann wird ein Mord gemeldet. Was, zum Teufel, ist hier los, Paul?«
Paul sagte es ihr und bemühte sich dabei, kein Detail auszulassen.
Daraufhin fasste Katinka in eigenen Worten die wichtigsten Punkte stichwortartig zusammen: »Ihr feiert euer jährliches Abi-Treffen. Unter den Gästen befindet sich ein leidlich erfolgreicher Autor. Der steht kurz vor der Herausgabe eines neuen Werkes und hofft auf einen Erfolg. Der Autor isst einen vermutlich vergifteten Lebkuchen und stirbt. Hatte er Feinde unter den Gästen? Nein, jedenfalls ist dir darüber nichts bekannt.«
»Korrekt und umfassend analysiert«, meinte Paul. »Welche Schlüsse ziehst du daraus?«
»Vorerst überhaupt keine. Ich muss mehr wissen über seine Schulfreunde, viel mehr!« Mit diesen Worten ließ sie Paul zurück und sprach die verunsichert herumstehenden Gäste im Gastraum mit lauter, klarer Stimme an: »Meine
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