Lebkuchen und Bittermandel
mit einem Teelöffel Sahne verfeinert zu haben.
»Ganz wichtig ist auch der Schuss Sherry, den ich dem Sud beigemengt habe«, erwähnte er schon wieder guter Dinge. »Das verleiht dem Ganzen den besonderen Pfiff.«
»Also gut, er ist nicht umgefallen. Wir dürfen reinhauen.« Til fackelte nicht lang und machte sich ebenfalls über die Suppe her. Die großen Zwiebelringe schaufelte er sich unzerteilt in seinen Mund.
Die anderen taten es ihm langsam nach. Nur Sonja bestand auf ihrem Einwand und schob ihren Teller demonstrativ beiseite.
»Typisch«, hörte Paul Professorengattin Katja raunen. »Die ist sich zu fein für eine einfache Suppe.«
Sonja setzte sich kerzengerade auf. »Das habe ich gehört. Ich habe ja wohl laut und deutlich gesagt, warum ich auf das Essen verzichte.«
»Etepetete«, setzte Katja nach. Ihr Mann Matthias stieß sie an, doch das kümmerte sie nicht. Unverwandt richtete sie ihre dunklen Augen auf die schöne Sonja und wartete darauf, dass diese ihrem Blick auswich.
Sonja aber hielt stand. »Du hältst mich für arrogant, ja?«
Katja sagte nichts, deutete lediglich ein Nicken an.
»Ein eingebildetes, blödes Weib soll ich sein?«, fragte Sonja scharf. »So siehst du mich, ja?«
»Erwarte nicht von mir, dass ich dir widerspreche«, entgegnete Katja spöttisch.
Sonja stand mit einem solchen Schwung auf, dass ihr Stuhl umfiel. »Jetzt will ich dir mal was sagen, du unattraktive, fette Kuh …«
»Sonja!« Udo, der ebenfalls aufgesprungen war, fasste seine Frau in der Armbeuge. »Ich glaube, jetzt reicht es.«
»Diese Zicke hat angefangen«, rechtfertigte Sonja ihren Ausbruch.
»Die Bezeichnung Zicke steht dir zu, Sonja«, rief ihr Katja zu. »Mich hast du ja schon zur Kuh gemacht.«
Auch Oberstudienrat Klugmann erhob sich von seinem Platz und breitete beschwichtigend die Arme aus. »Herrschaften, ich bitte Sie. Solche Szenen kenne ich zur Genüge aus der Schule. Das brauchen wir hier wirklich nicht. Soll ich Ihnen Verweise erteilen oder sind Sie in der Lage, das ohne das Zutun Ihres alten Lehrers zu regeln?«
Zu Pauls großer Erleichterung führte Klugmanns launig gemeinte Bemerkung zu einer Entschärfung der Lage. Die Streithähne bzw. -hühner setzten sich wieder auf ihre Plätze.
Wie zum Trotz nahm sich nun auch Sonja eine Kelle Suppe. Gleichwohl konnte sie sich eine Retourkutsche gegen Klugmanns Einmischung nicht verkneifen: »Wenn Ihnen wirklich daran gelegen wäre, Streit zu schlichten und uns allen das Leben leichter zu machen, dann müssten Sie nur etwas Courage zeigen und Ihr Geheimnis mit uns teilen, Herr Klugmann.«
Der alte Lehrer kratzte sich mit fragender Miene am Vollbart. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Nein? Wirklich nicht?« Sonjas Tonfall fiel höhnisch, fast beleidigend aus. »Jeder hat mitbekommen, dass Jakob Ihnen mehr über sein neues Manuskript erzählt hat als allen anderen. Warum sagen Sie uns nicht, worum sich Jakobs Buch dreht? Vielleicht bringt das Licht ins Dunkel – und uns aus der Schusslinie.«
Klugmann schmunzelte. »Junge Frau. Ihre Worte mir gegenüber zeugen nicht eben von Respekt.«
»Das ist mir so was von egal«, ereiferte sich Sonja weiter. »Stecken Sie sich Ihren Respekt sonst wo hin!«
»Sonja!«, schaltete sich erneut Udo ein. »Genug! Es reicht!« Sicherheitshalber schob er ihr Weinglas außer Reichweite.
»Ich kann Ihnen versichern«, setzte Klugmann zu einer Antwort an, »dass ich nichts von dem, was mir Jakob anvertraut hat, für mich behalten werde.«
»Na also.« Sonjas Gesicht hellte sich auf. »Es geht doch.«
»Freilich werde ich dies nicht in der großen Runde abhandeln«, schränkte Klugmann ein. »Ich werde es gegenüber der Frau Staatsanwältin zu Protokoll geben, wenn ich an der Reihe bin. Bis dahin …«, er fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Mund, »… sind meine Lippen versiegelt.«
Sonja fluchte, musste aber bald einsehen, dass sie bei dem ausgefuchsten Pädagogen mit ihrer infantil aggressiven Art auf Granit biss. Außerdem duftete das Essen köstlich und zog alle Aufmerksamkeit auf sich.
Während es sich Paul schmecken ließ und das außen krosse und innen saftige Bauernbrot in die Suppe tunkte, betrachtete er die Runde seiner alten Freunde. Jeden der hier Anwesenden kannte er seit Jahrzehnten. Jeder Einzelne war ihm vertraut, und für jeden würde er seine Hand ins Feuer legen. Aber so, wie die Dinge nun mal standen, sah es aus, als würde zumindest einer unter ihnen dieses Vertrauen
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