Lebkuchen und Bittermandel
nicht verdienen. Bloß wer?
Der korrekte Rüdiger mit seiner konservativen Prägung und starken Heimatverbundenheit? Oder seine Frau Giulia, die ihr südländisches Temperament ungern zügelte und ihren Mann ob seiner allzu deutschen Art oftmals foppte? David, der Tüftler, körperbewusst und noch mit Mitte 40 sportlich schlank und agil? Seine Frau Hilde, die immer für ein offenes Wort zu haben war? Matthias, der sich und seiner lockeren Lebensart seit dem Abi treu geblieben war und nichts von den Allüren eines Professors erkennen ließ? Oder Katja, die mit Matthias so lange liiert war, wie Paul zurückdenken konnte. Vielleicht Udo, der Zahlenjongleur, der mit seinem gegelten schwarzen Haar auch als Croupier in einem Spielcasino durchgehen würde? Sonja, die Schönheitskönigin, die man wegen ihres Barbie-Gesichts allzu oft als naive Blondine abkanzelte? Ulrich, der Pechvogel, der sich zu einer zum Scheitern verurteilten frühen Heirat hatte überreden lassen und nun sein sich selbst eingebrocktes Elend mit Alkohol zu ertränken versuchte? Til, der Dynamiker, der meist ziemlich großkotzig rüberkam, aber auch ein echter Kumpel sein konnte? Waren sie alle die Menschen, für die Paul sie hielt, oder verbargen sie tief in ihrem Inneren dunkle Geheimnisse?
»So ein Dreck, verfluchter!«, unterbrach Letztgenannter Pauls Gedanken. Til streckte seinen rechten Arm in die Höhe, in der Hand hielt er ein iPhone. »Gibt’s denn hier kein Netz?«
»Mitunter haben wir Schwierigkeiten damit«, räumte Jan-Patrick ein. »Die dicken Mauern …«
»Wen willst du denn anrufen?«, wollte Udo wissen.
»Meinen Anwalt. Wen wohl sonst?«, gab Til etwas barsch zurück.
»Du glaubst, der hat nichts Besseres zu tun, als an einem späten Samstagabend mit dir zu telefonieren?«, fragte Udo und klang belustigt.
»Ganz recht«, sagte Til. »Ich bin natürlich rechtsschutzversichert und habe Anspruch auf einen Rundum-die-Uhr-Service. Du kannst sicher sein: Wenn ich meinen Anwalt an die Strippe kriege, haut er mich hier raus, bevor du deine Suppe ausgelöffelt hast.«
»Wo hast du den denn aufgetrieben?« Udo sah ihn scheel an.
»Beim Golfen kennengelernt. Eine klasse Kanzlei. Da bekommst du super Kontakte, beim Golfen. Musst du ausprobieren!«
»Nein, danke.« Udo lachte schäbig. »Keine Zeit für so was. Ich muss mir mein Geld noch mit Arbeit verdienen.«
Paul, dem die gereizte Stimmung unter seinen Freunden gegen den Strich ging, versuchte sich aus der Diskussion herauszuhalten. Er driftete abermals ab in seine Gedankenwelt. Ihn trieb die Neugierde darüber um, wie der Inhalt von Jakobs letztem Manuskript ausgesehen haben könnte. Ob es – wie mehrfach angedeutet worden war – einen Bezug zur Realität und womöglich sogar zu den gemeinsamen Freunden gab? Ob Jakob in seinem Buch ein über viele Jahre gehütetes Geheimnis preisgeben wollte?
10
Verhörprotokoll Kr. 3,
Samstag, 18. Dezember, 22.00 Uhr
Befragt wurde Herr Til G.
Verhör geführt durch Frau Oberstaatsanwältin K. Blohm
Protokollführer: Herr P. Flemming
Rechtsbelehrung erfolgt
Herr G.. würden Sie uns bitte schildern, in welchem Verhältnis Sie zu dem Verstorbenen standen?
Til G.: In gar keinem Verhältnis. Was ist denn das für eine Frage? Außerdem sage ich sowieso nichts ohne meinen Anwalt.
Das Hinzuziehen eines Anwalts ist Ihr gutes Recht.
Til G.: Sag ich ja. Kann ich jetzt endlich gehen?
Bedaure, nein. Solange die vorläufigen Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, verlässt niemand den Goldenen Ritter. Ob mit oder ohne Anwal t . Allerdings könnten Sie diesen Prozess durch Ihre aktive Mitarbeit deutlich verkürzen.
Til G.: So ein Blödsinn. – Also gut. Was wollen Sie von mir wissen?
Wie standen Sie zu Jakob K.?
Til G.: Er war … – wie soll ich sagen? – … ein entfernter Bekannter. Wir hatten nicht sonderlich viel miteinander zu tun. Er war ja mehr so ein Künstlertyp. Etwas verschroben, versponnen, abgehoben. Ich dagegen stehe mit beiden Beinen fest auf dem Boden.
Es gab demzufolge wenige Berührungspunkte?
Til G.: Wenige? Gar keine! – Das heißt: bis auf eine winzig kleine Ausnahme. Wir standen eine Zeit lang auf dieselbe Frau.
Wenn es für die Ermittlungen von Bedeutung ist, nennen Sie uns bitte den Namen dieser Frau.
Til G.: Keine Ahnung, ob das von Bedeutung ist. Das müsst Ihr selbst entscheiden. Die Frau war – Sonja.
Sonja ist verheiratet, Sie deuten hier also ein gefährliches Spiel an.
Til G.: Bleiben Sie cool, Lady,
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