Lee, Julianne

Sitze gleiten, sodass die Spitze auf der Rückbank lag.
    Die Kirche Unserer Lieben Frau vom See lag am anderen Ende des Tales, nur zehn Minuten von der Burg entfernt. Auf dem Footballfeld ganz in der Nähe fand ein inoffizielles Rugbymatch statt. Iain musste auf der Straße parken, denn der kleine Schotterparkplatz vor der Kirche war bereits belegt. Als er den Wagen abschloss, brummte er: »Man sollte doch meinen, dass für die Eltern des Bräutigams ein Parkplatz reserviert bleibt.«
    Kate erwiderte scharf auf Gälisch: »Man sollte auch meinen, dass der Vater des Bräutigams pünktlich ist.«
    Iain verkniff sich eine Antwort und reichte Kate wortlos den Arm, um sie die Stufen zur Kirche emporzugeleiten.
    Im Inneren war es warm. Die Hochzeitsgäste hatten schon auf den Bänken Platz genommen. Zufrieden stellte er fest, dass man für ihn und seine Frau zwei Plätze in der vordersten Reihe frei gehalten hatte.
    Die Zeremonie war lang, aber jeder Moment hatte seine ganz eigene Bedeutung. Der junge Dilean Robert war erst zweiundzwanzig Jahre alt, gerade von der Universität zurück, aber heute schien er vor Iains Augen zu einem erwachsenen Mann heranzu-
    reifen. Die Sonne warf ihre Strahlen durch die Rosette über dem Altar und tauchte das Brautpaar in einen warmen Schimmer. Dilean stand in seinem Kilt würdevoll vor dem Priester und lauschte dessen Gebeten und Ermahnungen, bis er und seine Freundin endlich zu Mann und Frau erklärt wurden. Sinann hielt zum Glück während der Trauung den Mund, was Iain dankbar zur Kenntnis nahm.
    Ihm wurde warm ums Herz, als er an künftige Enkelkinder dachte. Die Vorstellung einer neuen, jungen Generation von Mathesons entlockte ihm ein Lächeln. Eine lange Geschichte lag hinter seiner Familie, eine verheißungsvolle Zukunft vor ihr. Es erfüllte ihn mit Stolz, einen Platz in einer langen Ahnenreihe einzunehmen.
    Nach der Zeremonie verließen die Gäste die Kirche, unterhielten sich draußen auf dem Kirchplatz mit Freunden und hofften auf eine Gelegenheit, den Frischvermählten Glück zu wünschen. Bunte Kleider, einfarbig oder mit Tartanmuster, hoben sich von dunklen Anzügen und schlichten Kilts ab. Iain beobachtete seinen Sohn, der strahlend lächelte und dabei sein etwas zu langes Haar zurückwarf. Dann schlenderte er langsam zum Friedhof hinüber, um frische Luft zu schnappen und ein Mal mehr die Grabsteine zu betrachten.
    Die Namen waren ihm alle wohlvertraut, nicht nur, weil er sie schon oft gelesen hatte, sondern auch, weil er schon viele Geschichten über seine Vorfahren gehört hatte; Geschichten von Heldenmut und Opferbereitschaft, von Hass, Liebe und Loyalität, von einem Geisterhund, blutgetränktem Erdreich, dem Volk der Seehunde und der Feen und von geradezu gespenstischem Geschick im Umgang mit einem Schwert. Dabei interessierte es ihn nicht, ob sich all diese Dinge tatsächlich so zugetragen hatten oder nicht. Sie waren eben ein Teil seiner Geschichte und seiner
    Identität.
    Genau gegenüber, zwischen dem Postamt und einem Schnell-Imbiss, lag ein großes Steingebäude. Die verfallenen Mauern
    zeugten von seinem Alter, doch das Schild vor dem Eingang war vor weniger all fünfzig Jahren angebracht worden. Von der Kirche aus konnte man es nicht sehen, doch Iain wusste, was daraufstand: Museum Königin-Anne-Garnison; Samstag bis Donnerstag von 10.00 bis 17.00 geöffnet; Eintritt drei Pfund, Kinder und Rentner
    ein Pfund.
    Iain blickte sich um. Ein Lächeln spielte um seine Lippen. Es tat gut tat gut zu wissen, wo man hingehörte und wo die eigenen Wurzeln lagen.
    ENDE

    Kleine schottisch-gälische Wortkunde
    bannock Runder Hafer- oder Gerstenmehlkuchen
    broch Steinerner Rundturm aus der Zeit um Christi Geburt
    ceilidh Wörtl.: >Besuch<, gemeint ist ein oft mit Tanz verbundenes geselliges
    Beisammensein
    creach Organisierter Raubzug oder Überfall
    drammach Dicker Brei aus Hafermehl und kaltem Wasser
    fear-cömnaidh Rechte Hand; Stellvertreter des Lairs oder Be
    fehlshabers
    feileadh beag Rock und Plaid sind voneinander getrennte Kleidungsstücke
    feileadh Mór »Großer Kilt<; hier bestehen Plaid und Rock aus einer einzigen Stoffbahn
    loch See
    Sassunach abfällige Bezeichnung der Schotten für einen Engländer
    selkie Seehund
    sgian dubh Wörtl.: »Schwarzes Messer Zierdolch, der im Strumpf getragen wird
    shielings Berg-, Hochweiden
    sidhe Das Feenvolk, auch »Kleine Leute< genannt
    sporran Beschlagene Felltasche, die vor dem Kilt getragen wird
    spreidhe iehherde
    tigh