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Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Titel: Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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spät ist!
    »Heute!«, schwor ich meinem Spiegelbild mit lauter Stimme. »Heute tu ich es!«
    Noch an diesem Tag würde ich die Weichen für die Zukunft neu stellen.
    *
    Ich ging im Bademantel nach unten und überlegte, was ich zur Weichenstellung anziehen sollte. Nicht, dass ich mir je Gedanken gemacht hätte, in welchen Klamotten ich zur Arbeit ging. Es war meist das Übliche, Jeans, T-Shirts, Blusen, Pullis, im Sommer Sandalen oder Ballerinas, im Winter Stiefeletten oder warme Schuhe.
    Doch an diesem besonderen Tag, dem Tag meines großen Entschlusses, war seriöse Kleidung ein Muss. Rock und Pumps waren das Mindeste. Ich musste aussehen wie eine Frau, der man gern Geld lieh, weil bereits ihr Äußeres ein grundsolides Wesen signalisierte.
    Ich deckte eilig den Frühstückstisch und warf die Kaffeemaschine an, dann ging ich wieder nach oben.
    Eine Viertelstunde später stand ich fertig geschminkt und angezogen vor dem Spiegel in meinem Schlafzimmer. Gerade geschnittener Rock, Bluse, Blazer. Zeitlos und gediegen, von der Sorte, die auch nach zehn Jahren noch ordentlich aussieht. Alles in vertrauenerweckend dezenten Farbtönen. Dazu suchte ich passende Schuhe aus, geschmackvolle, aber nicht zu elegante Pumps. Auf keinen Fall die neuen italienischen, ich wollte nicht den Eindruck erwecken, verschwendungssüchtig zu sein.
    Als ich wieder nach unten ging, röhrte durch die geschlossene Tür von Benedikts Zimmer die Stereoanlage.
    Ich atmete tief durch, während ich im Arbeitszimmer die Klarsichthülle mit den Bankunterlagen raussuchte. Meine Hände zitterten ein bisschen, als ich sie hervorzog und alles noch einmal durchging.
    Ich musste nicht oft zur Bank, nur hin und wieder zum Abholen meiner Kontoauszüge oder um mir Geld am Automaten zu ziehen. Als ich das letzte Mal dort gewesen war, hatte ich in einem Anfall von spontanem Größenwahn am Schalter nach Formularen für eine Hypothek gefragt. Eine nette junge Frau hatte mir einen ganzen Stapel in die Hand gedrückt. »Sie können jederzeit zu einem Beratungsgespräch vorbeikommen, Frau …?«
    »Wingenfeld. Annabell Wingenfeld.«
    »Angenehm! Unser Herr Kleinlich nimmt sich für unsere Grundschuld-Kunden gern persönlich Zeit! Wollen Sie vielleicht gleich schon zu ihm ins Büro?«
    Unser Herr Kleinlich war der Filialleiter der Bank, wie ich dem Aufdruck des Briefkopfes entnehmen konnte. Harald Kleinlich, um genau zu sein.
    »Ich rufe dann lieber mal an und mache einen Termin aus«, hatte ich hastig erwidert und mit den Formularen die Flucht angetreten. Natürlich war es schwachsinnig, aus dem Namen eines Bankdirektors irgendwelche Rückschlüsse zu ziehen. Ich hatte auch nicht etwa deswegen das Weite gesucht, sondern weil … hm, keine Ahnung. Vielleicht, weil die Zeit noch nicht reif gewesen war. Jetzt aber war sie es. Überreif sogar. Ich hatte die Unterlagen ja sogar schon ausgefüllt, es fehlte nur noch der blöde Termin! Jetzt oder nie!
    Ich nahm mein Handy und rief bei der Bank an.
    »Guten Morgen«, zwitscherte es aus dem Hörer. »Sie rufen leider außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Unsere Geschäftszeiten sind montags bis freitags von acht Uhr dreißig bis …«
    Durch die Terrassentür konnte ich in den Garten blicken. Sie stand offen; irgendwer hatte am Vorabend vergessen, sie zu schließen, wahrscheinlich ich, weil ich noch spät draußen gewesen war, um die Auflagen von den Terrassenstühlen ins Haus zu holen.
    Unter der Kastanie war Spikes wackelndes Hinterteil zu sehen. Sein buschiger Schwanz wedelte unternehmungslustig. Erdklumpen flogen hoch, er war wieder dabei, irgendetwas ein- oder auszugraben … Moment mal, was hatte er denn da zwischen den Zähnen?
    »Spike!«, schrie ich entsetzt. Ich rannte hinaus. Der Rasen war pitschnass, die Beete schlammig. Doch darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.
    »Gib das her!«, rief ich. »Böser Hund! Böser Hund!« Ich packte Spike beim Halsband und zerrte ihm ein zerbissenes Blatt Papier aus dem Maul. Weitere Blätter lagen überall am Fuß der Hecke verstreut, ein oder zwei davon wirbelten hoch, als ein Windstoß sie erfasste. Ich ließ Spike los und rannte den Blättern nach, bevor der Wind sie auf die Straße wehen konnte. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn jemand sie in die Finger kriegte! Heutzutage wimmelte die Welt nur so von verkannten Schriftstellern. Sogar Frau Schmalenberg, die drei Häuer weiter wohnte, hatte neulich erst gesagt, dass sie demnächst, wenn sie in Rente ging, als

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