Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
Als hätte er mich aufgegeben. Einen Moment lang starre ich ihn bloß an und frage mich, ob ich mir das alles nur eingebildet habe. Doch sein Gesichtsausdruck – traurig, distanziert – bleibt unverändert. Ich wende mich ab, rücke bis zur Sofakante von ihm weg und alles, was ich durch die Taubheit in meinem Bewusstsein herausbringe, ist: »Warum?«
»Warum nicht?«, fragt Day. Seine Stimme klingt unbeteiligt, leblos wie eine verwelkte Blume.
Ich verstehe gar nichts mehr. Vielleicht will er ja sarkastisch sein? Oder vielleicht sagt er als Nächstes, dass wir trotzdem einen Weg finden werden, um zusammen zu sein. Doch er fügt nichts mehr hinzu.
Warum sollte er mir raten, das Angebot anzunehmen? Ich dachte, er wäre überglücklich, dass das alles endlich vorbei ist und wir versuchen können, so etwas wie ein normales Leben zu führen, was immer das auch sein mag. Es ließe sich doch sicher ein Kompromiss für Andens Angebot finden oder ich könnte es einfach ganz ablehnen. Warum hat er das nicht vorgeschlagen? Ich dachte immer, Day wäre der Emotionalere von uns beiden.
Day lächelt bitter, als ich nicht gleich antworte. Wir sitzen da, ohne dass unsere Hände sich berühren, während die Welt tonnenschwer zwischen uns hängt und die Sekunden lautlos vorbeiticken.
Nach ein paar Minuten holt er tief Luft: »Ich, äh … muss dir noch was anderes sagen.«
Ich nicke schweigend und warte darauf, dass er weiterredet. Ich habe Angst vor dem, was er sagen wird. Angst, dass er versuchen wird, mir seine Reaktion zu erklären.
Er zögert lange, doch bevor er weiterredet, schüttelt er den Kopf und stößt ein schmerzliches kleines Lachen aus. Ich kann ihm ansehen, dass er seine Meinung geändert hat, dass er sein Geheimnis wieder zusammenfaltet und in seinem Herzen verschließt. »Weißt du, manchmal frage ich mich, wie es heute wohl wäre, wenn wir uns einfach … irgendwann kennengelernt hätten. Wie ganz normale Leute. Wenn ich dir an einem sonnigen Morgen auf der Straße begegnet wäre und gedacht hätte, die sieht aber nett aus, und dann wäre ich stehen geblieben, hätte dir die Hand geschüttelt und gesagt: Hi, ich bin Daniel.«
Ich schließe die Augen angesichts dieser hübschen Vorstellung. Wie schön. Wie einfach. »Wenn es doch nur so gewesen wäre«, flüstere ich.
Day zupft an dem Goldkettchen an seinem Handschuh. »Anden ist der ehrwürdige Elektor unserer Republik. Es kann sein, dass du nie wieder so eine Chance bekommst.«
Ich weiß, was er damit sagen will. »Keine Sorge, wenn ich sein Angebot ablehne, heißt das nicht, dass ich die Republik nicht trotzdem mitgestalten kann. Dass wir nicht einen Mittelweg finden würden.«
»Lass mich ausreden, June«, bittet er leise und hebt beide Hände, um mich zu stoppen. »Ich weiß nicht, ob ich sonst den Mut finde, es noch einmal zu sagen.« Beim Klang meines Namens aus seinem Mund fange ich an zu zittern. Er schenkt mir ein Lächeln, das etwas in mir zerbrechen lässt. Ich weiß nicht, was es ist, aber sein Gesicht wirkt, als würden wir uns heute zum letzten Mal sehen. »Komm schon, wir wissen doch beide, wie das enden wird. Wir kennen uns erst seit ein paar Monaten. Ich habe mein gesamtes bisheriges Leben damit zugebracht, das System zu bekämpfen, das der neue Elektor jetzt reformieren will. Und du … na ja, deine Familie hat genauso gelitten wie meine.« Day hält inne und ein versonnener Ausdruck tritt in seine Augen. »Ich wäre vielleicht zufrieden damit, hin und wieder eine kleine Ansprache von einem Hochhaus zu halten und die Menschen für irgendetwas zu begeistern. Ich habe keine Ahnung von Politik. Ich kann nicht mehr als eine Galionsfigur sein. Aber du … du bist genau das, was die Menschen jetzt brauchen. Du hast die Chance, etwas zu verändern.« Er greift nach meiner Hand und berührt die Stelle, an der einmal sein Ring gesessen hat. Ich fühle die Schwielen in seinen Handflächen, die quälende Sanftheit dieser Geste. »Es ist natürlich deine Entscheidung, aber du weißt, wie sie ausfallen muss. Fass keinen Entschluss, nur weil du dich mir gegenüber schuldig fühlst. Mach dir über mich keine Gedanken. Ich weiß, dass es nur das ist, was dich zurückhält – das sehe ich in deinem Gesicht.«
Ich sage noch immer nichts. Wovon redet er da bloß? Was sieht er in meinem Gesicht? Was ist denn in meinem Gesicht?
Day seufzt, als ich weiter schweige. Ich ertrage seinen Blick nicht. »June«, sagt er langsam. Hinter den Worten klingt seine
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