Legenden der Traumzeit Roman
Tages die beste Farm in ganz New South Wales haben würden. Sie spürte den vertrauten Schmerz, als sie sich an das Buschfeuer erinnerte, in dem Billy und Jack ihr Leben verloren hatten, und an die schreckliche Überschwemmung, der eine längere Dürreperiode gefolgt war. Alice und sie hatten all das überlebt; sie hatten ihre anfängliche Feindseligkeit zusammen mit ihren Männern zu Grabe getragen und sich auf der Suche nach Trost und Hilfe einander zugewandt.
Sie zwang sich, an glücklichere Zeiten zu denken. Ihr Blick blieb an Niall hängen, und sie lächelte. Der junge Ire hatte vor vielen Jahren ihrer ältesten Tochter Amy den Hof gemacht. Wie unbeholfen und schüchtern er damals in seiner geflickten Hose und den ausgetretenen Stiefeln doch gewesen war! Ein Jugendlicher noch, aber seine Augen hatten nach seinen Jahren als kindlicher Strafgefangener von den Erfahrungen eines misshandelten Menschen gezeugt – ganz anders als der wohlhabende Mann, der gerade mit seinem Schwager Walter sprach, während ihre Kinder um sie herumsprangen. Im Laufe der Jahre hatten Niall und Amy Freude und Leid erfahren, doch die Liebe hatte ihnen darüber hinweggeholfen, und jetzt wohnten sie in dem feinen Haus, das Niall vor kurzem hinter seiner neuen Schmiede in Parramatta gebaut hatte. Niall hatte bewiesen, dass der menschliche Geist, und sei er noch so gepeinigt, nicht zu besiegen war.
Sie betrachtete ihre Enkel, insgesamt zehn, eine beachtliche Zahl, doch damit war die Zukunft für Nialls Schmiede und Walters Moonrakers gesichert. Und die Kinder brachten wieder Leben in diesen alten Ort. Nell beobachtete Ruby, die Jüngste von Amys sechs überlebenden Kindern. Eigentlich sollte sie das Mädchen nicht bevorzugen, doch es hatte etwas an sich, bei dem Nell warm ums Herz wurde. Vielleicht lag es daran, dass dieKleine so gern die Geschichten hörte, die Nell und Alice ihr erzählten, oder daran, dass Ruby zu schätzen wusste, wenn sie beide sich Zeit für sie nahmen, wenn ihre Eltern beschäftigt waren. Wie auch immer, das Kind bereitete Nell und Alice eine Menge Freude.
»Alles in Ordnung, Mum?«
Nell schrak aus ihren Gedanken auf und blickte zu Sarah empor. »Ich zähle nur meine Nachkommen. Welch ein Segen«, antwortete sie. »Ich wünschte, ich hätte ihre Energie.«
Der Blick ihrer Tochter verschattete sich, als sie die Kinder über die Lichtung rennen sah.
Nell konnte Sarahs Bedauern nachvollziehen, denn ihre Jüngste hatte nie geheiratet. Sie sorgte für ihren verwitweten Zwillingsbruder und seine Jungen, und nun, mit zweiundvierzig, würde sie wahrscheinlich nie mehr die Freuden der Mutterschaft erleben. »Wo ist Alice?«
Sarah strich mit den Händen über die Schürze, die blauen Augen gegen die Sonne zusammengekniffen. »Sie erteilt vom Küchenstuhl aus Befehle wie ein Hauptfeldwebel«, antwortete sie kichernd. »Ich bin überrascht, dass du deinen Senf nicht auch noch dazugibst. Das machst du doch sonst auch.«
»Eigentlich sollte ich an meinem Geburtstag nicht arbeiten. Aber wenn Alice im Weg ist, schaffe ich sie raus.«
Sarah lachte. »Bleib, wo du bist, Mum! Wir brauchen keinen neuen Streit, wenn so viel zu tun ist.«
Nell machte es sich wieder in den Polstern bequem. Sie hatte eigentlich nicht die Kraft, mit Alice zu streiten, und es war angenehm, hier im Halbschatten zu sitzen. »Hol mir meinen dickeren Schal, Liebes! Der Wind ist ein bisschen frisch.«
Bald hatte Nell den flauschigen Schal um die Schultern, und sie wollte schon um eine Tasse Tee bitten, als von der anderen Seite des Flusses Rufe ertönten. Nialls Familie war zu Pferde oder mit Fuhrwerken angekommen, eine ganze Schar, begleitetvon Dudelsack und Fiedeln. Sofort hob sich ihre Laune, denn die Iren hatten immer etwas zu erzählen, ein Lied auf den Lippen oder ein Instrument, mit dem sie aufspielten, und ihr gefiel, wie gern sie feierten.
Sie überquerten die Brücke über den Fluss, die in der letzten, fünf Jahre anhaltenden Trockenheit ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war. Niall hatte seine Mutter oder seine Schwestern daheim nie vergessen; er hatte sie und seine Schwäger finanziell unterstützt, hatte ihnen die Überfahrt von Irland nach Australien bezahlt und ihnen Arbeit gesucht. Die meisten waren in Parramatta oder in der Umgebung der Stadt geblieben und waren regelmäßige, gern gesehene Besucher auf Moonrakers.
»Hilf mir aufstehen!«, befahl sie. »Es ist mein Fest, und ich sitze hier mutterseelenallein rum.«
Mühsam
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