Lehtolainen, Leena
dass die Voruntersuchung in diesem Fall eingestellt wird.»
Ich sah offenbar so verblüfft aus, dass sie weiterredete:
«Ich meine die Voruntersuchung aufgrund der von Jari Halme erstatteten Anzeige. Nach den bisherigen Ermittlungen besteht kein Grund, dich des versuchten Totschlags zu verdächtigen. Ich habe gerade mit der Staatsanwältin gesprochen, sie wird keine Anklage erheben.»
«Aber …»
«Möglicherweise erstattet Halme eine neue Anzeige wegen Notwehrüberschreitung, dann müssen wir noch einmal auf die Angelegenheit zurückkommen. Hast du noch Schmerzen am Zeh?»
«Ein bisschen.»
«Wie kommst du denn nach Hause? Wir haben gleich eine Besprechung, aber ich kann einen von den Uniformierten bitten, dich zu fahren.»
«Ich nehm mir ein Taxi. Ich kann also gehen?»
Kallio begleitete mich auf den Flur. Vor dem Aufzug sagte sie:
«Es wird dich vielleicht interessieren, dass Heikki Jokinens Tod offenbar aufgeklärt ist. Bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob er schon tot war, als zwei seiner alten Zechkumpane ihn am Abend des zehnten Dezember im Wald gefunden, seine Taschen ausgeleert und ihn zwischen zwei Felsen unter Fichtenzweigen versteckt haben. Die Männer glaubten, er wäre betrunken in den Schnee gefallen und erfroren. Sie behaupten, er wäre schon tot gewesen, und wir können ihnen leider nicht das Gegenteil beweisen. Die Verletzungen an der Leiche scheinen durch einen Sturz entstanden zu sein, und da die Männer aussagen, sie hatten ihn am Fuß der GSM-Leitfunkstelle in Eestinkallio gefunden, ist er wahrscheinlich in betrunkenem Zustand auf den Mast geklettert und heruntergefallen. Mehr werden wir wohl nie erfahren. Kalle Jokinen steht jedenfalls nicht mehr unter Verdacht. Er konnte nachweisen, dass er seine Wohnung am Abend des zehnten Dezember nicht verlassen hat.»
«Gut, dass die Polizei ihm endlich auch glaubt», fuhr ich sie an. Im gleichen Moment kam der Aufzug, seine Tür öffnete sich wie das Tor zum Paradies.
«Du wusstest natürlich die ganze Zeit, dass Kalle unschuldig ist», rief mir Kallio nach. «Schönen Gruß an Sulo!»
Ich versagte es mir, weiter über die Worte der Hauptkommissarin nachzudenken. Wenn der Fall Heikki Jokinen abgeschlossen war, hatten Kalle und ich nichts mehr zu befürchten. Spielte es eine Rolle, wer Heikki umgebracht hatte, ich oder jemand anders?
Die Zeit für eine neue Frisur war gekommen, und da ich krankgeschrieben war, ließ sich das leicht bewerkstelligen. Es tat gut, die goldgelben Haare loszuwerden. Jetzt wuchsen mir fast nussbraune Haare, die dichter und elastischer waren als meine früheren. Eine Weile störte ich mich daran, dass sie so kurz waren, sie ließen die Ohren frei, und im Nacken hatte ich das Ge-fühl zu frieren, aber man sagte mir, sie würden schnell nach-wachsen. Die neue Frisur war mein Geburtstagsgeschenk, ich wurde sechsunddreißig. Das klang einerseits alt, andererseits war es zu wenig für ein ganzes Leben.
Ein paar Tage später wollte ich nach Kuusjärvi fahren, darum brachte ich Sulo zu Kalle. Die Katze schnupperte eine Weile, fand ihr Katzenklo an der gleichen Stelle wie zu Hause, trank einen Schluck aus dem Wassernapf und rollte sich dann schnurrend auf dem Sofa zusammen. Kalle versprach mir, sie nicht allzu sehr zu verwöhnen. Er bot mir an, mich zum Bahnhof zu bringen, aber ich wehrte ab und erklärte ihm, es wäre sicher besser, wenn er Sulo in den ersten Stunden Gesellschaft leistete.
Auf dem Bahnhof traf ich Tiina Leiwo, im Nerzmantel und elegant geschminkt. Sie unterhielt sich mit einem ebenso teuer gekleideten Mann, aber als sie mich sah, entglitten ihre Gesichtszüge.
«Säde … Hallo.»
«Hallo, Tiina. Wie geht’s?»
«Gut», antwortete sie, aber ihre Stimme bebte. «Geh schon mal die Fahrkarten kaufen, Henri. Ich möchte mich einen Moment mit meiner alten Bekannten unterhalten.»
Als der Mann verschwunden war, zog Tiina mich in eine Ecke der Bahnhofshalle.
«Hat der Vorstand des Schutzhafens meinen Brief bekommen?», fragte sie aufgeregt.
«Ja. Es wurde darüber diskutiert, und jetzt werden die Richtlinien geändert. Wir …»
«Ich habe immer noch Angst», unterbrach sie mich. «Ich habe Albträume, in denen Pasi auftaucht. Es fällt mir schwer, einem Mann zu trauen. Bei der Arbeit glauben sie zum Glück, dass ich um Pasi trauere und deshalb so durcheinander bin. Ohne Therapie käme ich nicht zurecht.»
«Tiina, beruhige dich. Pasi kommt
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