Lehtolainen, Leena
Schüsse wäre schlimmer als der Zeh. Ich war froh, als ich ihren aufdringlichen, überfreundlichen Fragen entkam.
Mein Anrufbeantworter war voller Nachrichten. Ich hatte die Boulevardblätter nicht gesehen, aber sie hatten offenbar berichtet, eine heldenhafte Mitarbeiterin des Frauenhauses hätte unter Einsatz ihres Lebens einen Drogengangster dingfest gemacht. Meine Mutter beschwerte sich auf dem Band, dass mein Bild nicht in die Zeitung gekommen war. Beide Boulevardzei-tungen wollten ein Interview, aber ich machte mir nicht die Mühe zurückzurufen. Meine drei Brüder hatten ebenfalls angerufen, vermutlich, weil sie sich wunderten, wo ich schießen gelernt hatte. Auch Kalle hatte eine Nachricht hinterlassen, und bei ihm hörte ich heraus, dass er ehrlich besorgt um mich war.
Da ich nicht gut laufen konnte, brauchte ich jemanden, der für mich einkaufte. Sulos Futter reichte noch für ein paar Tage, aber Käse und Joghurt waren fast aufgebraucht. Sollte ich es wagen, Kalle um Hilfe zu bitten, nachdem ich ihm sechs Wochen lang die kalte Schulter gezeigt hatte?
Kalle nahm mir die Entscheidung ab. Am Samstagnachmit-tag stand er mit sechs leuchtend roten Rosen vor der Tür und sagte, er sei gerade auf dem Weg zum Einkaufen. Ich bestellte Vorräte für die ganze Woche, obwohl er sagte, er würde gern jeden Tag Besorgungen für mich machen.
«In Heikkis Fall gibt es etwas Neues», sagte Kalle, als er die Einkaufstüte auf den Tisch stellte. «Soll ich die Sachen in den Kühlschrank räumen?»
«Das schaff ich schon.» Eilig humpelte ich in die Küche, denn ich wollte nicht, dass jemand in meine Schränke guckte. «Was ist mit Heikki?» Mein Herz pochte heftig.
«Die Polizei hat am Donnerstag bei Mutter angerufen. Sie hatten Anfang der Woche zwei Männer durchsucht, die in Puolarmaar illegal auf dem Gelände der Schrebergartenkolonie kampieren. Dabei wurden Heikkis Bankkarte, Führerschein und Versicherungskarte gefunden, und auch die Schlüssel zu seiner Wohnung. Die beiden Männer sind jetzt vorläufig festgenommen.»
Hatte ich Heikki doch nicht umgebracht? Hatten die Männer aus Puolarmaar dem Sterbenden Brieftasche und Schlüssel abgenommen und die Leiche versteckt? Ich wäre jetzt gern mit meinen Gedanken allein gewesen, aber Kalle wuselte um mich herum, spielte mit Sulo und bot sich an, Staub zu saugen, weil das doch sicher zu anstrengend für mich wäre. Ich setzte Tee-wasser auf, damit meine zitternden Hände beschäftigt waren.
«Mein Bewährungshelfer hat gesagt, dass ich nicht mehr unter Verdacht stehe, Heikki umgebracht zu haben», verkündete Kalle bei der zweiten Tasse Tee.
«Gut. Ich meine, toll.» Ich wurde rot, Kalle zog aus meiner Verwirrung die falschen Schlüsse.
«Ich mach dir keinen Vorwurf daraus, dass du mich im Verdacht hattest. Das ist doch ganz natürlich.» Sein Lächeln war ein wenig gezwungen.
«Ich habe dich nie verdächtigt! Es tut mir Leid, wenn du den Eindruck gewonnen hast!»
Es war nicht leicht, ihm ins Gesicht zu sehen.
«Dann sind wir also wieder Freunde?»
«Freunde? Ja … Kann ich dich noch um einen Gefallen bitten? Ich möchte nächste Woche meine Eltern besuchen. Die Zugfahrt dauert fünf Stunden, das würde ich Sulo gern ersparen. Könntest du die paar Tage ab und zu herkommen und ihm sein Futter geben?»
«Sollte ich ihn nicht lieber so lange zu mir nehmen? Ich fän-de es schön, eine Katze zu haben, wenn auch nur leihweise.»
Genau darauf hatte ich gehofft. Kalle und Sulo könnten sich testen. Ich wollte sicher sein, dass Sulo ein gutes Zuhause fand, wenn ich nicht mehr für ihn sorgen konnte. Die Zeit war bald gekommen.
In der nächsten Woche ging ich zur offiziellen Vernehmung auf das Polizeipräsidium. Ich hatte beschlossen, Jack Halme auf fünftausend Finnmark Schmerzensgeld zu verklagen. Koivu erwartete die Hauptverhandlung erst im Herbst, weil Halme gleichzeitig auch wegen Zuhälterei sowie Besitz und Verkauf von Drogen angeklagt werden sollte. Ich sagte ihm nicht, dass ich im Herbst vielleicht keine Zeugenaussage mehr machen konnte.
«Sie werden jetzt als Zeugin vernommen. Ich muss Ihnen mitteilen, dass Jack Halme Anzeige gegen Sie erstattet hat. Er beschuldigt Sie des versuchten Totschlags. Wir müssen Sie daher auch als Angeklagte vernehmen», sagte Koivu und sah mich um Entschuldigung bittend an. «Können wir das gleich jetzt miterledigen, oder möchten Sie sich zuerst einen Rechtsbeistand suchen?»
Ich hätte beinahe laut losgelacht, so absurd
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