Lehtolainen, Leena
weggegeben wurde.«
»Natürlich, von mir hat sie nicht gesprochen!«, fauchte Niina.
»Ich habe lange überlegt, ob ich so einer Frau, die sich kein bisschen für mich interessiert, überhaupt begegnen möchte. Sie muss von Heidis Tod erfahren haben, in mehreren Zeitungen stand eine große Todesanzeige. Wäre das nicht ein Grund gewesen, mich zu besuchen? Aber nein, sie ist nicht gekommen.«
Der Hass in ihrer Stimme war beklemmend. Elinas Version hätte sicherlich anders geklungen. Vielleicht hatte sie gerade vermeiden wollen, dass Niinas Leben aus den Fugen geriet.
»Schließlich habe ich beschlossen, meine Mutter aufzusuchen.
Deswegen habe ich mich im Herbst zum Kurs für geistige Selbstverteidigung in Rosberga angemeldet. Als ich ihr meinen Namen genannt habe, hat sie überhaupt nicht darauf reagiert. Ich war für sie nur eine x-beliebige Kursteilnehmerin.«
»Niina Kuusinen ist kein besonders ausgefallener Name«, sagte Tarja Kivimäki. »Womöglich hat Elina gar nicht gewusst, dass man dich Niina getauft hat.«
»Genau, daran sieht man, dass sie sich nicht für mich interessiert hat! Und bei dem Kurs hatte ich nicht mal Gelegenheit, sie richtig kennen zu lernen. Nach außen hin machte Elina einen netten Eindruck, das stimmt schon. Ich habe mich dann als Patientin bei ihr angemeldet. Die erste Sitzung war drei Wochen vor Weihnachten. Wir haben uns nur einige Male gesehen, weil ich nur einen Termin pro Woche hatte. Gleich zu Beginn habe ich ihr so viel über meine Eltern erzählt, dass ihr klar sein musste, wer ich bin. Aber sie sagte keinen Ton, saß nur da und hörte zu, könnt ihr euch das vorstellen?«
»Denk doch mal nach! Elina war ein Profi. Die hat doch gleich gesehen, dass du total übergeschnappt bist und dass sie alles nur noch schlimmer macht, wenn sie dir vor den Latz knallt, dass in Wahrheit sie deine Mama ist. Du hast doch selbst mit dem Versteckspiel angefangen!« Milla war aufgebracht. »Warum hast du ihr nicht einfach gesagt, dass du es weißt? Das hast du dann an Weihnachten nachgeholt, oder? Deshalb bist du hergekommen!«
Niinas Gesicht war wie blank gewischt, die Tränen hatten jede Regung weggespült.
»In der Nacht nach dem zweiten Weihnachtstag. Am Abend habe ich ihr gesagt, ich müsste mit ihr sprechen. Sie hat mich so komisch angeguckt und ›Aha‹ gesagt. Aber sie hatte nicht sofort Zeit für mich, sie musste zuerst mit Joona Kirstilä spazieren gehen. Da bin ich wütend geworden. Elina hat bestimmt gewusst, was ich ihr zu sagen hatte, aber sie wollte es nicht hören! Ich hatte Whisky für sie gekauft, im Herbst bei dem Kurs hat sie zu irgendwem, wahrscheinlich zu dir, Milla, mal gesagt, ihre Lieblingsmarke wäre Laphroaig. Dann habe ich noch eine Schachtel Dormicum genommen, die Tabletten zerdrückt und in Wasser aufgelöst. Eigentlich hatte ich keinen richtigen Plan. Ich wollte Elina nur zeigen, dass ich sie töten könnte – wenn ich es wollte. Aber eine so kleine Menge hätte sie doch nicht umgebracht!«
Niinas Tränen waren versiegt, mit fester Stimme erzählte sie, wie sie nach dem Film in Elinas Zimmer gegangen war. Elina war schon im Nachthemd. Das Gespräch hatte noch nicht richtig begonnen, als Joona anrief. Während Elina mit ihm telefonierte, mixte Niina ihr einen Drink.
»Elina hat aufgelegt und das Glas in einem Zug geleert. Sie wollte sich wohl Mut antrinken und hat gar nicht gemerkt, dass in dem Glas noch was anderes war als Whisky. Das hat mich irgendwie aus dem Konzept gebracht. Ich weiß, wie schnell das Medikament wirkt. Ich … habe zu Elina gesagt, ich wüsste, dass sie meine Mutter ist. Dann bin ich rausgelaufen, aus ihrem Zimmer und aus dem Haus, durch das hintere Tor aufs Feld. Ich hab es da drinnen einfach nicht mehr ausgehalten.«
Elina war ihr nachgelaufen, ohne Schuhe und ohne Mantel.
Niina war ziellos davongerannt, am Waldrand hatte sie Elina abgeschüttelt. Nachdem sie eine halbe Stunde lang durch die Kälte gelaufen war, ging sie durch den Haupteingang ins Haus zurück. Sie hatte angenommen, Elina wäre längst wieder da und wartete darauf, dass sie zu ihr käme, doch Elina hatte sich nicht blicken lassen.
»Warum hast du uns nicht geweckt, du verdammte Idiotin!«, schimpfte Milla.
Doch Niina antwortete nicht. Sicher gab es auch keine Antwort. Wahrscheinlich würden wir nie erfahren, was sich wirklich abgespielt hatte, wie Elina an den Ort geraten war, an dem sie gefunden wurde. Vielleicht hatte die kombinierte Wirkung der Medikamente
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