Lehtolainen, Leena
Pekka …«
Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.
»Gehst du morgen zu Sirkka?«
»Wir treffen uns zum Muttertagskaffee bei Kaitsu.«
»Ich habe fast jeden Muttertag in Pielavesi verbracht. Deine Großmutter hatte ja am elften Mai Geburtstag, da fielen oft beide Feste auf denselben Tag. Es ist ganz ungewohnt, am Muttertag nichts vorzuhaben«, hörte ich mich jammern.
»Ja, in der nächsten Nacht ist es fünfundzwanzig Jahre her«, murmelte Katja. Sie brauchte mir nicht zu erklären, was »es«
war. »Man sollte meinen, nach so langer Zeit hätten sich die Erinnerungen verflüchtigt, aber das stimmt nicht.«
»Ist dir viel im Gedächtnis geblieben?«
»Mehr als genug. Ich habe Opas Leiche gesehen und den Hammer angefasst, als er …«
SIEBENUNDZWANZIG
Katja
» … aus Ranes Hand auf den Boden gefallen war. Hast du ihn abgewischt?«
»Ja«, gestand Veikko. »Ein verzweifelter Versuch, uns alle reinzuwaschen. Genauso gut hätte ich der Täter sein können.
Kurz bevor ich aus dem Haus gehen wollte, um bei Hartikainen Schnaps zu besorgen, habe ich Vater nämlich die Faust ins Gesicht geschlagen. Dass nicht ich, sondern Rane den Hammer nahm, war Zufall. Ich habe ihm gesagt, wenn wir alles abstreiten, würde er vielleicht nicht verurteilt. Auch das war ein Irrtum.«
Kirsikka Kalmanlehto hatte mir versichert, dass Rane seinen Vater tatsächlich umgebracht hatte. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, und auch sein erster Selbstmordversuch war eine Art Geständnis gewesen.
»Mutter hatte sich zwar schon hingelegt, schlief aber noch nicht. Sie hat den Streit mit angehört und sich nachher schuldig gefühlt, weil sie nicht rechtzeitig dazwischengegangen war.
Dasselbe hat Rane später übrigens uns allen vorgeworfen.«
»Und ihr habt die Schuld angenommen. Kaitsu und ich haben sie dann von euch geerbt. Dieses Erbe darf man wohl zurück-weisen?«
»Wenn du das Zeug dazu hast.« Veikkos Stimme klang ernst.
Der Bart, den er sich neuerdings stehenließ, stand ihm gut, er machte ihn älter und seriöser. Ulla war gewachsen, ihre Pfoten wirkten nicht mehr so überproportioniert wie bei einem Welpen.
Hunde haben eine viel kürzere Jugend als Menschen.
In der letzten Nacht war auch Veikko kurz in meinem Traum aufgetaucht. Ich hatte wieder auf der Opernbühne gestanden und nicht gewusst, welche Rolle ich zu singen hatte. Da hatte Kode Melodiefetzen gesummt, und Pekka halte eine Arie gesungen, in der er meine Rollengestalt beschrieb, sodass ich sie wiederer-kannte. Beim Aufwachen hatte ich mich nicht an die Einzelheiten erinnert, wohl aber an das Gefühl. Ich war aus der Rolle gefallen, wie so oft, aber meine Freunde hatten mir geholfen, wieder hineinzufinden.
Ich erzählte Veikko von meinem Traum. Er sagte, für seine Romane sei das Ende viel zu glücklich.
»Ich muss einfach daran glauben, dass Glück wenigstens ab und zu möglich ist. Obwohl ich nicht weiß, ob ich das Recht habe, glücklich zu sein, wenn alle anderen um mich herum …
Kaitsu und Mutter und Rane …«
»Das Recht?« Veikko grinste auf einmal. »Eher die Pflicht, würde ich sagen.« Er runzelte die Stirn und schien über seine eigenen Worte nachzudenken. »Verdammt nochmal! Natürlich, genau das ist es! Kannst du einen Moment auf Ulla aufpassen?«
Er rannte in das Bahnhofsgebäude. Es war das erste Mal, dass ich ihn bei einer spontanen Handlung erlebte. Normalerweise vermied er es, Aufmerksamkeit zu erregen. Der Hund winselte verstört. Ein paar Minuten später kam Veikko im Laufschritt zurück.
»Eine Viertelstunde, wir schaffen es gerade noch. Komm, Ulla!«
»Wohin willst du denn?«
»Mit dem nächsten Zug nach Iisalmi, falls im Hundeabteil Platz für Ulla ist. Na, wir werden schon irgendwie reinpassen.
Ich muss noch Geld abheben und die Fahrkarte kaufen.«
»Was ist denn in Iisalmi so Besonderes?«
»Jemand namens Auli. Hoffentlich hat der Zug ein Telefon.«
Veikko umarmte mich nicht, doch sein Blick war wie eine Umarmung. Er verschwand mit seinem Hund im Gedränge, während ich sitzen blieb, meinen Kaffee trank und auf Pekka wartete. Wir wollten nach Järvenpää zum ersten Rockfestival des Frühjahrs. Kode und ein paar seiner Freunde hatten ihren Frauen einen ungewöhnlichen Muttertagsausflug versprochen, und Kode hatte Pekka und mich überredet, mitzukommen.
Während ich auf Pekka wartete, dachte ich an all die Male, wo mir das Warten angenehmer erschienen war als das bevorstehende Ereignis selbst. Der Verkehrslärm wurde
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